Sturm ueber roten Wassern
ich meine noch völlig ruhig halten kann.«
»Sowie ich merke, dass meine Kraft nachlässt, stütze ich meinen Bolzen einfach an deiner Nase ab. Wer hat euch auf uns gehetzt? Wie viel bezahlt man euch? Wir sind nicht völlig mittellos; wir könnten eine Lösung finden, die uns und euch gefällt. Eine beide Seiten zufriedenstellende Vereinbarung.«
»Offen gesagt, ich weiß, für wen die beiden arbeiten«, meldete sich Jean zu Wort.
»Tatsächlich?« Locke schielte flüchtig zu Jean hinüber, ehe er wieder Blickkontakt mit seinem Widersacher aufnahm.
»Und es wurde eine Vereinbarung getroffen, aber sie dürfte nicht jeden von uns zufriedenstellen.«
»Äh … Jean, ich fürchte, ich kann dir nicht mehr folgen.«
»Oh nein.« Jean hob eine Hand und zeigte dem Mann vor ihm die Innenfläche. Dann drehte er langsam und mit äußerster Vorsicht seine Armbrust nach links, bis sein Bolzen auf Lockes Kopf deutete. Der Kerl, den er noch kurz zuvor bedroht hatte, blinzelte verdutzt. »Ich kann dir nicht mehr folgen, Locke.«
»Jean«, meinte Locke, dessen Grinsen wie weggefegt war, »Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt.« »Ich auch nicht. Gib mir deine Waffe.« »Jean …«
»Gib mir deine Waffe. Sofort. Du da, bist du schwer von Begriff? Nimm das Ding aus meinem Gesicht und ziele auf ihn!«
Jeans ehemaliger Angreifer benetzte fahrig seine Lippen, rührte sich jedoch nicht. Jean knirschte mit den Zähnen. »Jetzt hör mir mal gut zu, du hirnloser Hafenaffe, ich erledige hier deinen Job! Richte deine Armbrust auf meinen Partner, mögen die Götter ihn verfluchen, damit wir endlich vom Pier wegkommen!«
»Jean, ich würde die Wendung, die die Ereignisse nehmen, als nicht sehr hilfreich bezeichnen«, warf Locke ein. Er sah aus, als hätte er gern noch mehr gesagt, hätte nicht Jeans Gegenspieler sich just in diesem Moment entschlossen, Jeans Aufforderung nachzukommen.
Locke kam es vor, als ströme ihm nun der Schweiß in wahren Bächen über das Gesicht, wie wenn seine verräterischen Körpersäfte ihre Heimstatt verlassen wollten, ehe etwas Schlimmeres passierte.
»So, das hätten wir geschafft. Drei gegen einen.« Jean spuckte auf den Kai. »Du hast mir gar keine andere Wahl gelassen, als mich mit dem Auftraggeber dieser Herren zu einigen – bei allen Göttern, du hast mich zu diesem Schritt gezwungen. Tut mir leid. Ich hatte angenommen, sie würden zuerst einen Kontakt zu mir herstellen und nicht ohne Vorwarnung über uns herfallen. Und jetzt gib deine Waffe her.«
»Jean, zur Hölle noch mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht …«
»Halt die Klappe. Sag am besten gar nichts mehr, und versuch keinen deiner Tricks.
Ich kenne dich viel zu gut, um mich auf eine Diskussion mit dir einzulassen. Kein einziges verdammtes Wort, Locke. Nimm den Finger vom Abzug, und reich mir deine Waffe!«
Locke starrte auf die stählerne Spitze von Jeans Armbrustbolzen, den Mund vor Verblüffung weit offen. Die Welt rings um ihn her verblasste, bis auf diesen winzigen, schimmernden Punkt, auf dem orangefarbene Reflexionen aufblitzten, die von dem lodernden Inferno stammten, das hinter seinem Rücken auf der Reede tobte. Jean hätte ihm ein Zeichen mit der Hand gegeben, wenn das Ganze eine Finte war, um ihre Gegner zu täuschen … wo zur Hölle blieb das Handzeichen?
»Ich kann es nicht fassen«, hauchte Locke. »Ich kann es einfach nicht …«
»Ich sage es jetzt zum allerletzten Mal, Locke.« Jean biss auf die Zähne und richtete den Bolzen mit ruhiger Hand direkt auf die Stelle zwischen Lockes Augen. »Nimm den Finger vom Abzug, und gib mir deine verdammte Waffe. Sofort!«
DRITTES BUCH
DIE KARTEN AUF DEN TISCH
»An der rechten Flanke gerate ich hart in Bedrängnis; die Mitte weicht zurück; Situation exzellent. Ich greife an.«
G ENERAL F ERDINAND F OCH
Kapitel Vierzehn
Die Geißel des Messing-Meers
1
Jaffrim Rodanov watete im flachen Wasser neben dem Rumpf eines umgekippten Fischerboots auf und ab und lauschte den Wellen, die über seine Füße schwappten, ehe sie sich an den zertrümmerten Planken brachen. So weit entfernt von der Stadt war die Bucht von Port Prodigal sauber. Kein in der Nacht angesammelter Dreck trieb in schleimigen Wolken durch das Wasser, keine rostenden Metallsplitter oder Tonscherben verunreinigten den Sand. Hier gab es keine in den Wellen dümpelnden Leichen, die krächzenden Vögeln als makabre Flöße dienten.
Zwielicht, am siebenten Tag des Monats Aurim.
Weitere Kostenlose Bücher