Sturm ueber roten Wassern
exotische, buntgefiederte Vögel einnisteten, wurden sie von Leuten begleitet, die sie mit Luxus und Dienstleistungen versorgten. In Salon Corbeau hatte sich dauerhaft eine Gemeinde aus Schneidern, Tuchhändlern, Instrumentenbauern, Glasbiegern, Alchemisten, Delikatessenverkäufern, Unterhaltern und Kunsttischlern niedergelassen. Ein kleiner Kreis, gewiss, doch er genoss den allerbesten Ruf, genügte höchsten Ansprüchen und war entsprechend teuer.
Fast im Zentrum von Salon Corbeaus Südgalerie fand Locke die Werkstatt, für die er die lange Reise auf sich genommen hatte – ein langgestrecktes, zweigeschossiges Steingebäude, das auf der dem Gehweg zugewandten Seite keine Fenster hatte. Auf dem Holzschild über der einzigen Tür stand:
M.BAUMONDAIN UND TÖCHTER
HAUSHALTSGEGENSTÄNDE UND EDLE MÖBEL
TERMINE NUR NACH VEREINBARUNG
Die Tür war mit einer verschnörkelten Laubsägearbeit verziert, die das Wappen der Familie Saljesca zeigte (Locke hatte es auf den hier und da flatternden Bannern und den überkreuzten Gürteln von Salon Corbeaus Wachen entdeckt), was bedeutete, dass Lady Vira persönlich die hier hergestellten Objekte schätzte. Locke beeindruckte dies nicht, da er Saljescas Geschmack zu wenig kannte, um sich auf ihr Urteil zu verlassen … aber dass der Name Baumondain für erstklassige Qualität stand, war auch bis nach Tal Verrar vorgedrungen.
Gleich am nächsten Morgen wollte er einen Boten schicken, wie es sich gehörte, und um einen Termin bitten; es ging ihm darum, ein paar ausgefallene Stühle exakt nach seinen Wünschen anfertigen zu lassen.
Um die zweite Stunde des folgenden Nachmittags fiel ein warmer, sanfter Regen, ein Nieseln, das in der Luft hing wie ein feuchter Schleier. Verschwommene Nebelsäulen waberten zwischen den Pflanzen und über dem Tal, und ausnahmsweise waren die Gehwege beinahe frei von gut situierten Müßiggängern. Graue Wolken verdeckten den hohen, schwarzen Berg im Nordwesten. Locke stand vor der Tür zu Baumondains Werkstatt, während ihm das Wasser den Nacken hinunterlief, und klopfte dreimal scharf an.
Sofort schwang die Tür nach innen auf; ein drahtiger Mann von ungefähr fünfzig Jahren linste Locke durch runde Augengläser an. Er trug eine schlichte Baumwolltunika mit bis zu den Ellbogen aufgekrempelten Ärmeln, und Locke konnte einen Blick auf die mageren Unterarme werfen, die mit verblassten grünen und schwarzen Gilde-Tätowierungen bedeckt waren; die lange Lederschürze zum Schutz der Kleidung hatte vorne mindestens sechs Taschen. In den meisten steckten Werkzeuge, doch in einer saß ein graues Kätzchen, von dem nur der kleine Kopf hervorlugte.
»Meister Fehrwight? Mordavi Fehrwight?«
»Ich schätze mich glücklich, dass Sie ein wenig Zeit für mich erübrigen können«, begann Locke. Er sprach mit einem schwachen Vadraner Akzent, nur so viel, um anzudeuten, dass er aus dem hohen Norden stammte. Da er keine große Lust verspürte, sich anzustrengen, ließ er diesen Fehrwight so fließend wie möglich Therin sprechen. Locke streckte dem Mann die rechte Hand zum Gruß entgegen. In der linken trug er eine schwarze Ledermappe mit einem Eisenschloss. »Meister Baumondain, nehme ich an?«
»Kein anderer. Aber treten Sie doch ein, damit Sie aus dem Regen herauskommen.
Trinken Sie Kaffee? Geben Sie mir Ihren Rock, und im Austausch erhalten Sie ein Tässchen.«
»Gern.« Das Foyer der Baumondain-Werkstatt war ein hoher, gemütlich getäfelter Raum, der von kleinen goldenen Laternen in Wandhaltern erhellt wurde. Ein Tresen mit einer Schwingtür zog sich quer durch die Rückseite des Raumes, und dahinter entdeckte Locke Regale, auf denen sich Proben von Hölzern und Bezugsstoffen sowie Wachsen und Ölen in Glasbehältern stapelten. Es roch nach abgeschmirgeltem Holz, ein angenehmer, beißender Geruch. Vor dem Tresen hatte man eine kleine Sitzecke eingerichtet, wo zwei exquisit gedrechselte Stühle mit schwarzen Samtkissen auf einem Gobelinteppich standen.
Locke stellte die Tasche zu seinen Füßen ab, drehte sich um, damit Baumondain ihm aus seinem klammen schwarzen Rock helfen konnte, nahm die Mappe wieder in die Hand und setzte sich auf den der Tür am nächsten stehenden Stuhl. Der Tischler hängte Lockes Rock über einen Messinghaken an der Wand. »Wenn Sie mich bitte einen Moment entschuldigen würden«, bat er und trat hinter den Tresen. Aus der neuen Perspektive konnte Locke nun sehen, dass hinter dem Tresen eine mit Segeltuch verdeckte Tür
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