Sturm ueber roten Wassern
vermutlich in die Werkstatt führte. Baumondain schob den Segeltuchvorhang zur Seite und rief: »Lauris! Der Kaffee!«
Aus der Werkstatt ertönte eine gedämpfte Antwort, die ihn offenbar zufriedenstellte; er wieselte um den Tresen herum, nahm auf dem Stuhl Locke gegenüber Platz und legte ein freundliches Lächeln in seine runzligen Züge. Kurz darauf flog der Segeltuchvorhang wieder zur Seite, und aus der Werkstatt kam ein sommersprossiges Mädchen von fünfzehn oder sechzehn Jahren. Sie hatte kastanienbraunes Haar und war genauso schmal gebaut wie ihr Vater, nur mit mehr Muskeln an den Schultern
und Armen. Auf einem Holztablett trug sie silberne Kannen und Tassen, und als sie durch die Schwingtür im Tresen trat, sah Locke, dass das Tablett mit Beinen versehen war wie ein winziger Tisch.
Sie stellte das Kaffeeservice zwischen Locke und ihrem Vater ab, ein wenig seitwärts versetzt, und bedachte Locke mit einem respektvollen Nicken.
»Meine älteste Tochter, Lauris«, stellte Meister Baumondain vor. »Lauris, das ist Meister Fehrwight, aus dem Haus von bei Sarethon in Emberlain.«
»Ich bin entzückt«, sagte Locke. Lauris stand ziemlich dicht bei ihm, und er konnte sehen, dass ihr Haar voller kleiner geringelter Holzspäne war.
»Zu Ihren Diensten, Meister Fehrwight.« Lauris nickte abermals und schickte sich an zu gehen, doch dann entdeckte sie das graue Kätzchen in der Schürzentasche ihres Vaters. »Vater, du hast Flink vergessen. Du möchtest doch bestimmt nicht, dass er mit euch Kaffee trinkt, oder?«
»Ach du meine Güte, an den hatte ich wirklich nicht mehr gedacht.« Baumondain fasste nach unten und hob das Kätzchen aus der Schürze. Locke wunderte sich, wie schlaff das kleine Tier in seinen Händen hing; die Beine und der Schwanz baumelten wie leblos herab, und das Köpfchen kippte zur Seite. Welche Katze, die etwas auf sich hielt, schlief einfach weiter, wenn sie von ihrem Platz genommen und hochgehoben wurde? Locke verstand, was los war, als Lauris ihrem Vater das Kätzchen abnahm und sich zum Gehen wandte. Flinks Augen waren weit aufgerissen und kalkweiß.
»Das arme Tier wurde gebrochen«, sagte Locke mit leiser Stimme, nachdem Lauris wieder in der Werkstatt verschwunden war.
»Ja, leider«, seufzte der Tischler.
»So etwas habe ich noch nie gesehen. Was hat es für einen Sinn, eine Katze ruhigzustellen?«
»Gar keinen, Meister Fehrwight, gar keinen.« Baumondains Lächeln war erloschen und hatte einem misstrauischen, unbehaglichen Ausdruck Platz gemacht. »Und ich habe es ganz bestimmt nicht getan. Meine jüngste Tochter, Parnella, fand das offensichtlich ausgesetzte Tier hinter der Villa Verdante.« Baumondain sprach von der großen Luxusherberge, in der die zur Mittelschicht gehörenden Besucher von Salon Corbeau zu logieren pflegten, die Reichen, die sich nicht zu Lady Saljescas persönlichen Gästen zählen durften. Auch Locke hatte sich dort einquartiert.
»Verflucht seltsam.«
»Wir nennen ihn Flink, aus Jux, denn er bewegt sich ja kaum. Man muss ihn zum Fressen nötigen, zum Trinken, und sogar dass er … sich entleert, wissen Sie. Parnella hielt es für gnädiger, ihm den Schädel zu zerschmettern, aber Lauris wollte davon nichts wissen, und deshalb habe ich das Tier im Haus geduldet. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für schwach und viel zu nachgiebig.«
»Keineswegs«, betonte Locke und schüttelte den Kopf. »Die Welt ist schon grausam genug, auch ohne unser Zutun. Ich finde, Sie haben richtig gehandelt. Ich begreife nur nicht, wie jemand dazu kommt, so ein kleines Tier überhaupt zu brechen.«
3
»Meister Fehrwight.« Der Tischler benetzte nervös seine Lippen. »Sie scheinen ein mitfühlender Mensch zu sein, und Sie sollten wissen, dass … wir uns hier ein solides, einträgliches Geschäft aufgebaut haben. Meine Töchter erwartet ein bedeutendes Erbe, wenn ich ihnen einmal die Werkstatt übergebe. Aber es gibt da … ein paar Dinge in Salon Corbeau, Dinge, in die wir Kunsthandwerker … uns nicht einmischen. Aus denen wir uns heraushalten müssen – wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich verstehe Sie durchaus«, erwiderte Locke, bestrebt, den Mann bei Laune zu halten.
Doch er nahm sich vor, bei Gelegenheit nachzuforschen, was genau dem Tischler Kopfschmerzen bereitete. »Ich weiß sehr wohl, was Sie meinen. Deshalb sollten wir dieses Thema jetzt fallen lassen und uns stattdessen dem Geschäftlichen zuwenden.«
»Sehr gütig«, stimmte Baumondain mit
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