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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Insa wusste genauso gut wie Aletta, dass der Abbruch einer Schwangerschaft ein Vergehen war, das unter Strafe stand. Um mehr als ihr Schweigen konnte Aletta nicht bitten.
    Als es leise an der Tür klopfte, runzelten beide unwillig die Stirn. Aber als Jorit den Kopf in die Küche steckte, entspannte sich Insas Miene, und Aletta lächelte.
    »Geht’s dir besser?«, fragte Jorit leise und sah Aletta so ängstlich an, dass sich ihr Lächeln vertiefte.
    Sie nickte ihm beruhigend zu. »Wie lange hast du gebraucht, um dich mit Tommas Zustand und dem Verlust eures Kindes abzufinden? So lange werde ich auch brauchen.«
    Lange dauerte es nicht, bis das nächste Klopfen die Schwestern aufschreckte. Wieder stand die bange Frage in ihren Gesichtern, ob jemand hereinkommen würde, den sie nicht sehen wollten, der etwas sagen und tun würde, was später die Behauptungunmöglich machte, von dem Alkoholkonsum in ihrem Hause nichts gewusst zu haben.
    Diesmal war es Reik. Er war mutiger als Jorit, begnügte sich nicht mit einem Blick durch den Türspalt, sondern kam herein und ließ sich ohne Aufforderung neben ihnen nieder. »Schön, dass es Ihnen besser geht«, sagte er zu Aletta. »Jetzt muss nur noch die Zeit ihre Arbeit erledigen.«
    »Alle Wunden heilen?«, fragte Aletta. Sie versuchte ein Lächeln, brachte es jedoch nicht fertig.
    Auch Reik blieb ernst. »Ich habe mir etwas überlegt ... Was halten Sie davon, wenn ich dem Inselkommandanten vorschlage, den Wachsoldaten ein Konzert zu geben? Die Männer brauchen Abwechslung, er wird ein solches Angebot gern annehmen. Und Ihnen würde es sicherlich guttun.«
    Aletta sah ihn ungläubig an. »Ich soll vor den Soldaten der Inselwache singen? Nein, das kann ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich? Allein? Vor so vielen Männern?«
    Nun lächelte Reik. »Wenn Sie wollen, stelle ich mich für das eine oder andere Duett zur Verfügung.«
    Aletta fiel ein, was sie gedacht hatte, als sie Reiks Stimme zum ersten Mal hörte. »Bariton?«, fragte sie.
    Er nickte. »Wir müssten allerdings gründlich proben. Ich bin aus der Übung.«
    »Ich auch«, gab Aletta zurück und spürte eine Leichtigkeit in sich aufsteigen, die sie mehr tröstete als jedes noch so gut gemeinte Wort, das sie nach Ludwigs Tod gehört hatte.
    »Sing, wenn du an mich denkst! Sing, wenn du mir nah bist!«
    Sie würde proben, ihr Repertoire auffrischen, ihre Stimmübungen mit einem konkreten Ziel absolvieren! Sie spürte, dass die lähmende Traurigkeit ein Stück weit von ihr abfiel. Singen! Damit konnte sie den Krieg hinter sich lassen, vielleicht sogar für kurze Zeit Ludwigs Tod vergessen und ihm, dem lebenden Ludwig, so nah sein, als könnte sie ihn bald zurückerwarten.
    »Was für eine dumme Idee!«, fuhr Insa nun Reik an. »Aletta und du? Ein Freizeitsänger und eine Operndiva? Du traust dich was!«
    Reik blieb ganz ruhig. »Ich kann mich erinnern, dass du meine Stimme mal sehr gerngehabt hast. Am Strand musste ich dir vorsingen, und du ...«
    »Damals war ich fünfzehn«, unterbrach Insa ihn.
    »Ich weiß«, erwiderte Reik, immer noch scheinbar unberührt von ihrem Spott. »Zu jung für die Liebe! Aber vielleicht auch zu jung, um meine Stimme zu beurteilen?«
    »Warst du damals überhaupt schon im Stimmbruch?«, höhnte Insa.
    »Nicht einmal daran kannst du dich erinnern?« Nun ließ Reik die Maske fallen und zeigte, wie sehr ihn Insas Anzüglichkeiten verletzte.
    Aletta war froh, dass ihr endlich ein Einwand gelang. »Warum sollen wir es nicht probieren? Wenn es nicht klappt, lassen wir es eben bleiben.«
    Reik lächelte sie dankbar an. »Ich schreibe auf, welche Stücke ich leidlich beherrsche. Dann können wir uns ein Repertoire überlegen.«
    Er verließ die Küche mit einem warmen Lächeln für Aletta und ohne einen Blick für Insa.
    Aletta wartete, bis seine Schritte verklungen waren, dann fragte sie: »Warum gehst du so mit ihm um? Er hat dich mal geliebt. Und du warst doch auch mal verliebt in ihn!«
    »Das gibt ihm nicht das Recht, sich in mein Leben einzumischen.« Und heftig, so heftig, dass Aletta zusammenzuckte, ergänzte sie: »Ich wollte, er wäre nie wieder nach Sylt gekommen!«
    Aletta war mehrmals in der Nacht geweckt worden. Vom Gelächter der Soldaten, von einer schlagenden Tür und von lauten Gesprächen unter ihrem Fenster, wenn sich zwei oder drei gemeinsam auf den Weg zu dem Holzhäuschen mit dem Herz in der Türmachten. Sie hatte dann jedes Mal gehofft, dass sie wirklich so weit kamen und es

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