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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Beleidigungen begnügt und sich am nächsten Morgen an nichts erinnern wollen. In diesem Zustand jedoch war er zu keinem rhetorischen Gefecht fähig und für eine Niederlage nicht betrunken genug. Hinter dem Schleier, den er vor seine Augen gezogen hatte, gab es nur eines: Vergeltung. »Nicht von einer Frau! Erst recht nicht von dieser ... dieser ...«
    Aletta hätte am liebsten ihre Tür zugeworfen, sie schleunigst verriegelt und sich damit in Sicherheit gebracht. Aber damit hätte sie ihre Schwester ebenfalls ausgesperrt. Sie musste sich zwingen, genau das Gegenteil zu tun, und trat dem Hauptmann entgegen, obwohl ihre Unterlegenheit doppelt wog. Sie bestand nicht nur aus ihren schwächeren Kräften, sondern auch – sogar vor allem – in der Tatsache, dass sie nichts als ein Nachthemd ihrer Mutter trug und auf bloßen Füßen stand. Doch auch ihre Verzweiflung verdoppelte sich in diesem Augenblick und damit ebenso ihr fester Vorsatz und ihr Wille.
    Als Kalkhoff nach ihrem Arm greifen wollte, schüttelte sie ihn entschlossen ab und stieß ihn mit einer Kraft zurück, die er ihr anscheinend nicht zugetraut hatte.
    Insa schrie auf und flehte ihre Schwester an, sich nicht auf den Hauptmann einzulassen. Doch Aletta rief ihr nur zu, kurz bevor sie von Kalkhoff gepackt wurde: »Hol Hilfe! Schnell!«
    Dann schrie sie auf, als die schweren Soldatenstiefel nach ihren nackten Füßen traten und ihr Hinterkopf an die Wand schlug. Als ihr ein Knie in den Leib gerammt wurde, kippte sie zur Seite, drängte sich an die Wand, blieb zusammengekauert liegen und versuchte, in dieser Haltung Schutz zu finden.
    Sie hatte Glück. Hauptmann Kalkhoff war noch nicht derart verroht, dass er auf eine am Boden liegende Frau eintrat.
    Aletta hörte seine schweren Schritte auf der Treppe, die Haustür ins Schloss fallen und kurz darauf aufgeregte Stimmen, die sich näherten. In diesem Moment merkte sie, dass sie blutete.
    Und im nächsten Augenblick hörte sie Jorits Stimme: »Ich hole einen Arzt!«

X.
    Ludwig war ihr nah, ganz nah. Sie hielt die Augen geschlossen, damit sie nicht sehen musste, wer an ihrem Bett saß, und konzentrierte sich weiterhin auf das warme Gefühl in ihrem Innern, das immer weiter heranwuchs, je stärker sie blutete. Sie achtete nicht auf Insas Hände, die sich unter ihr zu schaffen machten und dafür sorgten, dass sie die Matratze nicht durchblutete, und wollte nicht wissen, wem die fremden Stimmen gehörten, die auf einmal auf sie zukamen. Auf die Mutmaßungen, die neben ihr ausgesprochen wurden, hätte sie reagieren können, wollte es aber nicht.
    »Das muss der Schreck gewesen sein. In so einem frühen Stadium der Schwangerschaft können schon Kleinigkeiten zum Abort führen.«
    Auch zu den Bagatellisierungen ihrer Schwester mochte sie nichts sagen. »Er war betrunken. Wie Männer so sind ...«
    Sie wollte weiterhin Ludwigs Wärme spüren, seinen Atem auf ihrer Haut, sein Flüstern in ihrem Kopf hören, seine Dankbarkeit für das Opfer fühlen, das sie ihm gebracht hatte. Es durftenicht geringer werden, nur weil es ihr abgezwungen worden war. Und sie wollte sich die Sünde von ihm abnehmen und sich versichern lassen, dass sie nichts falsch gemacht hatte.
    Sie öffnete die Augen erst, als sie immer wieder dazu aufgefordert worden war, und spürte, dass man sich Sorgen um sie machte. Insas Gesicht war das Erste, was sie wahrnahm. Was sie flüsterte, konnte sie nicht verstehen, aber es tat ihr gut. Insas Stimme war weich und tröstend, so wie ihre Arme und ihr Körper gewesen wären, wenn sie sich hätte an sie schmiegen dürfen. Sie streckte die Hand nach ihrem Seidenschal aus, und Insa verstand und legte ihn in ihre Hände, damit sie ihn auf den Hals legen konnte.
    Dann erschien ein fremdes Gesicht neben ihr, das sie erst nach einigen Augenblicken erkannte. Dr. Ocke Peters, Jorits Schwiegervater!
    Er schien zu ahnen, warum sie ihn anstarrte. »Ich bin Arzt«, erklärte er. »Jorit hat mich geholt.« Er zog ihr fürsorglich die Decke bis zur Brust hoch, dann richtete er sich auf und gab damit den Blick auf Maike Peters frei. »Meine Frau ist meine Assistentin. Deswegen habe ich sie mitgebracht. Tomma ist derweil in Beekes Obhut.«
    Aletta wurde klar, dass er ihr diese ausführlichen Erklärungen gab, weil er sie ablenken wollte, weil er sie Schritt für Schritt und nicht jählings zu der Erkenntnis führen wollte, dass sie ihr Kind verloren hatte. Er konnte ja nicht ahnen, dass sie längst wusste, was geschehen war,

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