Sturm über Sylt
dass sie sich nicht dagegen wehrte und sich nicht auflehnen würde.
Maike Peters stellte sich an die Seite ihres Mannes und sah auf Aletta herab, die sich erneut unwohl fühlte unter ihrem Blick. »Wie ich höre, ist der Vater Ihres Kindes gefallen?« Es hörte sich so an, als wollte sie anfügen: Dann ist es ja eine glückliche Fügung, dass Sie kein uneheliches Kind aufziehen müssen.
Aber sie schluckte eine Ergänzung hinunter, als ihr Mann sie mit einer kleinen Geste unterbrach. Trotzdem hatte sie es fertiggebracht,Ludwigs Bild zu verjagen und seine Stimme zum Schweigen zu bringen. Und als Jorit schließlich die Erlaubnis erhielt, ins Zimmer zu kommen und an Alettas Bett zu treten, stahl sich gleich wieder das Misstrauen in ihre Augen. Maike Peters wusste nun, dass sie frei war, frei von ihrem Verlobten und frei von einem Kind.
Als Jorit am nächsten Morgen, noch vor Dienstantritt, erneut bei ihr erschien, fragte Aletta: »Weiß deine Schwiegermutter, dass du hier bist?«
Jorit versuchte, die Frage auf die leichte Schulter zu nehmen. »Warum sollte sie? Ich bin ein freier Mann.«
»Ein Ehemann«, hielt Aletta ihm vor.
»Das hat mit uns beiden nichts zu tun«, beharrte Jorit. »Wir sind Freunde. Dass wir uns mal geliebt haben, spielt heute keine Rolle mehr.«
Aletta bestätigte es nachdenklich, dennoch hatte sie Zweifel. »Ob deine Schwiegermutter genauso denkt ...?«
Jorit wollte davon nichts hören. »Sag mir lieber, wie es dir geht.«
Aletta zögerte mit einer Antwort. Schließlich fragte sie: »Was ist dieser Hauptmann Kalkhoff für ein Mensch?«
Jorit setzte sich auf ihre Bettkante, obwohl er vorher noch erklärt hatte, dass er nicht viel Zeit habe, weil sein Vorgesetzter es mit dem pünktlichen Dienstbeginn sehr genau nahm. »Er ist bisher nie aufgefallen«, begann er langsam. »Ich hätte ihm nicht zugetraut, dass er eine Frau schlägt.«
Aletta schob sich ein Kissen hinter den Kopf und richtete sich ein wenig auf. Den Schmerz, der durch ihren Unterleib fuhr, ignorierte sie. »Kalkhoff hat versucht, in Insas Zimmer zu kommen. In ihr Bett! Er war drauf und dran, ihr Gewalt anzutun.«
Jorit sah Aletta verblüfft an. »Insa? Deine Schwester ist angelaufen gekommen und hat geschrien, du würdest vergewaltigt.«
»Ich?« In Alettas Kopf drehte sich alles. Sie schüttelte ihn, alskönne sie dadurch Ordnung in ihre Gedanken bringen. »Das musst du falsch verstanden haben.«
»Nein!«, beharrte Jorit. »Ich bin ganz sicher.«
Aletta starrte eine Weile an die gegenüberliegende Wand. »Es war genau umgekehrt«, sagte sie dann leise. »Hauptmann Kalkhoff wollte Insa Gewalt antun.«
»Warum wollte sie das nicht eingestehen?«
Wieder überlegte Aletta lange, bis sie antwortete: »Weil Kalkhoff etwas gegen sie in der Hand hat. Sie sagt zwar, er verwechsle sie mit einer anderen Frau, aber nun bin ich sicher, dass sie lügt. Schon wieder.« Sie sah in Jorits verständnisloses Gesicht und wusste, dass er eine Erläuterung brauchte. »Kalkhoff hat behauptet, er kenne Insa von früher. Angeblich aus der Pension seiner Familie in Buxtehude. Aber Insa sagt, sie sei nie in Buxtehude gewesen, schon gar nicht in einer Pension.«
»Dann wird es wohl so sein.«
»In der letzten Nacht hatte ich aber das Gefühl, dass Kalkhoff Insa in der Hand hat, dass sie sich nicht gegen ihn wehren konnte. Er hätte dann etwas verraten, was sie geheim halten will.«
»Was könnte das sein?«, fragte Jorit aufgeregt.
»Er hat gesagt, sie solle sich überlegen, ob sie möchte, dass es herauskommt.«
»Was?«
»Das weiß ich nicht. Aber Insa ist nicht aufrichtig. Sie belügt mich! Nicht zum ersten Mal! Warum gibt sie nicht zu, dass sie sich nachts mit Frauke getroffen hat? Und warum hat sie verhindert, dass Mutter mir ihr Geheimnis anvertraut? Wenn sie weiß, wer mein Vater ist, warum verrät sie es mir nicht? Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Wenn ich nur wüsste, was!«
In den nächsten Tagen wurden erneut die Namen einiger Gefallener vor dem Rathaus angeschlagen. Einer hatte sein Leben beim Angriff auf Lüttich gelassen, zwei bei der Verteidigung Mülhausens,und fünf waren in Lothringen gefallen. Auf Sylt dagegen blieb nach wie vor alles ruhig. Dennoch bekam der Krieg durch die Namen der Gefallenen, die immer mehr wurden, auch auf der Insel ein neues Gesicht, eine hässliche Fratze. Die Kontrollgänge und Patrouillen der Soldaten der Inselwache wurden verstärkt, weil niemand daran glauben konnte, dass Sylt verschont bleiben
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