Sturm über Sylt
später drang ein Geräusch in Sönkes Versteck. Aletta erzählte noch von den Erfolgen der deutschen Armee, da griff Sönke plötzlich nach ihrem Arm. »Pscht!«
Nun hörte Aletta es auch. Die Türklinke knarrte zwar nicht mehr, weil sie geölt worden war, aber das Aufschieben der Tür war zu vernehmen, dann das Einklinken und zwei Schritte auf der Treppe. Danach Stille! Dann ein Pochen! Zweimal lang, dreimal kurz. Anscheinend kündigte Insa sich mit diesem Zeichen an, und Sönke gab einen zustimmenden Laut von sich. Nun wurden die Schritte energisch und sorglos, kurz darauf stand Insa vor dem Bett und starrte ihre Schwester fassungslos an.
Insa behandelte sie wie ein Kind, das sich durch Unachtsamkeit verletzt hatte. »Was hast du auf dem Speicher zu suchen?«, fragte sie, obwohl sie diese Frage schon mehrmals gestellt hatte.
»Ich wollte nach meiner Puppe schauen«, wiederholte Aletta geduldig. »Ich dachte, Vater hätte sie auf den Speicher getragen.«
»Er hat sie schon vor Jahren einem armen Mädchen geschenkt, das kein Spielzeug hatte«, sagte Insa und setzte Aletta eine Tasse Tee vor. »Du hättest mich fragen können.« Das Schuldgefühl flackertein ihren Augen. Dass sie Aletta eine unangenehme Nacht beschert hatte, schien ihr zuzusetzen.
»Warum tust du das, Insa? Wie kannst du dieses Risiko eingehen? Weißt du nicht, was der alten Sefa Johannsen passiert ist? Sie hat ihren Neffen versteckt.«
Insa ließ sie nicht zu Ende reden. »Ich weiß. Josef ist erschossen worden, und Sefa sitzt im Gefängnis.«
»Dir könnte es genauso gehen!«
»Willst du mich etwa anzeigen? Mich ins Gefängnis bringen? Und Sönke erschießen lassen?«
Aletta stellte ihre Tasse zurück. »Was denkst du von mir!?«
Insa antwortete nicht. Sie lehnte sich an den Spülstein und starrte an Aletta vorbei zur Tür, als könnte sie sich öffnen und jemand eintreten, der ihr Problem mit einem Satz löste.
»Sönke hat von zwei Frauen gesprochen«, sagte Aletta leise und beobachtete Insa genau. Sie wusste, wie schnell es mit ihrem Entgegenkommen vorbei sein konnte, wenn sie sich angegriffen fühlte oder glaubte, dass Aletta sich etwas herausnahm, was ihr nicht zustand. »Die andere ist Frauke Lützen?«
Insa löste ihren Blick von der Tür und sah Aletta nun an. Ihre Verblüffung war zu groß, um ihren Gesichtsausdruck zu maskieren. »Wie kommst du darauf?«, fragte sie entgeistert.
»Sie war heimlich hier«, antwortete Aletta. »Du weißt, ich habe ihre Stimme gehört, aber du hast es bestritten. Das musste ja einen Grund haben.« Sie fasste den Plan ins Auge, Insa zu gestehen, dass sie ein Gespräch belauscht hatte, in dem Frauke damit gedroht hatte, etwas zu verraten. Aber sie wusste, dass sie damit Gefahr lief, diese Aussprache mit Insa zu verlieren und nie wieder daran anknüpfen zu können. Deshalb ergänzte sie versöhnlich: »Du wolltest nicht zugeben, dass Frauke bei dir war, damit ich nicht merkte, dass es um Sönke ging.«
Insa holte erleichtert den Käse aus dem Schrank, schnitt eine dicke Scheibe ab und legte sie Aletta auf den Teller. »Ja, wir müssen sehr vorsichtig sein.«
Aletta bedankte sich mit einem Nicken für den Käse und schnitt ihn in feine Streifen, ehe sie das Brot, das Insa am frühen Morgen gebacken hatte, damit belegte. »In ihrer großen Tasche hat sie etwas für Sönke ins Haus gebracht?«
Insa nickte nur und antwortete nicht.
»Besitzt sie so viel, dass sie für Sönke etwas abzweigen kann?«
Wieder nickte Insa, wollte eigentlich schweigen, entschloss sich dann aber doch zu einer Antwort: »Sie ist von einigen Frauen mit Lebensmitteln bezahlt worden. Davon konnte Sönke etwas bekommen.«
»Erstaunlich, dass sie für ihn so viel opfert.«
Insas Schweigen war nun nicht mehr verstockt, sondern aggressiv. Das war ihren Händen anzusehen, die sich in einem schnellen Rhythmus öffneten und schlossen, als wollen sie zugreifen und schütteln, drosseln und wieder loslassen. Aber Aletta tat ihr den Gefallen nicht, dieses Gespräch zu beenden. »Was, wenn der Krieg doch länger dauert? Sönke kann nicht jahrelang auf dem Speicher leben.«
»Wir müssen nur so lange warten, bis die Fischerei an der Wattseite wieder erlaubt ist. Das kann nicht mehr lange dauern. Die Fischer leiden bereits Hunger und fangen schon wieder heimlich an zu fischen. Wenn die Pensionen und Hotels ihre Vorräte verbraucht haben, wird die Insel die Fischerei brauchen, das muss dann auch der Kommandant einsehen. Und von da an
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