Sturm über Sylt
Schwiegermutter antwortete: »Jorit holt gerade seinen Schwiegervater. Dr. Hein ist ja eingezogen worden, und der alte Dr. Meier ist selber krank.«
Pfarrer Frerich versuchte, Okka zu einem gemeinsamen Gebet zu ermuntern, aber sie hörte ihm nicht einmal zu. Der Tod ihres Kindes sollte Gottes Wille sein? Angesichts ihres Unglücks nannte er den Herrn gnädig und allmächtig? Nein, davon wollte sie nichts hören. Aletta konnte sie gut verstehen.
Insa ließ sich von einer Nachbarin mitziehen ins Schlafzimmer, wo der tote Säugling aufgebahrt worden war. Sie winkte ihrer Schwester, damit sie ihr folgte, aber das wäre über Alettas Kräfte gegangen. Zwar verließ sie das Wohnzimmer, als wollte sie neben dem toten Kind ein Gebet sprechen, aber statt zur Schlafzimmertür bewegte sie sich auf die Haustür zu.
Sie wurde aufgerissen, kaum dass sie nach der Klinke greifen konnte. Dr. Peters kam ins Haus, seinen Arztkoffer in der Hand, seine Frau folgte ihm, und hinter ihr erschien Jorit. Ocke Peters schob sich mit einem kurzen Gruß an Aletta vorbei und begab sich ins Wohnzimmer, seine Frau blieb vor Aletta stehen.
Jorit trat von einem Bein aufs andere. Er gehörte nicht zu den Nachbarn, war nicht verpflichtet, der trauernden Mutter seine Aufwartung zu machen, machte auch keinen Hehl daraus, dass er sich vor dieser schweren Aufgabe gern drücken wollte.
Maike Peters, deren wieselflinke Augen von Jorit zu Aletta huschten, sagte: »Mein Schwiegersohn ist nur mitgekommen, um uns den Weg zu zeigen. Er muss zurück zu seiner Frau. Beeke hat heute keine Zeit für Tomma.«
Damit folgte sie ihrem Mann, um ihm zu assistieren, falls es nötig sein sollte.
»Sie hat Angst«, flüsterte Aletta Jorit zu, »dass ich deine Ehefrau vergessen könnte.«
Jorit öffnete die Haustür und schob Aletta hinaus. Währenddessen raunte er zurück: »Und sie kann es nicht leiden, wenn ich auch nur einen Augenblick meines Lebens fröhlich bin, obwohl es Tomma so schlechtgeht!«
Sie traten auf die Straße und atmeten tief durch. Die Luft im Hause Mügge war schwer und dicht und von Trauer verbraucht gewesen, so dass das Atmen schwergefallen war.
Jorit steckte die Hände in die Hosentaschen, blickte in den Himmel und sah mit einem Mal so aus, als wollte er über das Wetter plaudern. »Die Entenjäger haben aufgegeben«, sagte er, ohne den Blick aus den Wolken zu nehmen. Auf dem Umweg über etwas Lapidares war er schon früher gern auf das zugegangen, was ihm wichtig erschien und was gleichzeitig heikel war. »Man sagt, Sönke würde irgendwo versteckt gehalten. Er muss Hilfe in der Bevölkerung gefunden haben. Unmöglich, dass er die Insel verlassen hat.« Nun wanderte sein Blick zu dem Dachfenster von Alettas Elternhaus, das einen Spaltbreit offenstand. »Frauke Lützen ist verdächtigt worden. Emme hat sie angeschwärzt, habe ich gehört. Frauke hat Sönke schon früher oft geholfen. Als er bei dem Bauern in der Braderuper Heide in Pflege war, hat sie ihm etwas zu essen zugesteckt, weil er dort schlecht versorgt wurde.«
»Aber Frauke hat Sönke nicht versteckt?«
Jorit schüttelte den Kopf und blickte immer noch zu dem Dachfenster. »Ihr Haus ist klein. Sie hatte nichts dagegen, dass es durchsucht wurde. Bei ihr verbirgt Sönke sich nicht.«
Nun zwang Aletta ihn, sie anzusehen. »Was denkst du?«
Ernst und sorgenvoll sah Jorit sie an. »Ich denke daran, dass wir Frauke Lützen und deine Schwester beobachtet haben, wie sie in der Dunkelheit durch euren Garten schlichen.«
Er sah sie so lange derart eindringlich an, dass Aletta schließlich den Blick senkte. »Du hast recht.«
Jorit schöpfte so tief Atem, dass er sich daran verschluckte undzu husten anfing. Als er wieder reden konnte, stieß er hervor: »Wie kannst du das unterstützen?«
»Ich weiß es erst seit gestern Abend«, erklärte Aletta. »Ich war wieder auf dem Speicher, um nach weiteren Tagebuchaufzeichnungen zu suchen.« Mit wenigen Worten erzählte sie Jorit, wie sie die Nacht verbracht hatte. Dann schloss sie: »Du wirst meine Schwester doch nicht verraten?«
Die Tür hinter ihnen öffnete sich. Ohne sich umzublicken, griff Jorit nach Alettas Arm und zog sie außer Hörweite. »Dass bloß niemand dahinterkommt«, tuschelte er aufgeregt. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie groß die Gefahr ist?«
Als die Stimme hinter ihnen ertönte, fuhren sie herum. »Wolltest du nicht so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen?«, fragte Maike Peters ihren Schwiegersohn, sah
Weitere Kostenlose Bücher