Sturm über Sylt
aber nicht Jorit, sondern Aletta an. »Tomma braucht dich.«
Jorit murmelte etwas Zustimmendes, drehte sich um und lief eilig davon. Aletta hoffte, sich genauso schnell davonmachen zu können, aber sie hatte sich getäuscht. Maike Peters hielt sie auf.
»Es tut mir leid für Sie, dass Sie erst Ihren Lebensgefährten und dann noch Ihr Kind verloren haben. Ich kann gut verstehen, dass Sie Trost brauchen. Und ich finde es rührend von Jorit, dass er Ihnen beisteht.« Das alles gab sie in einem Ton von sich, der Aletta zeigen sollte, dass sie exakt das Gegenteil von dem meinte, was sie sagte. »Verzeihen Sie, dass ich Ihr Gespräch stören musste. Aber Tomma geht nun mal vor. Sie ist ja völlig hilflos, seit sie Jorits Kind zur Welt brachte.«
Aletta verbat sich eine Antwort, die nicht sehr freundlich ausgefallen wäre. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Konnte Maike Peters Jorits letzte Sätze gehört haben? Niemand dürfe dahinterkommen, und die Gefahr sei groß? Wenn sie das nun falsch interpretierte? Andererseits wäre es genauso schlimm, wenn sie es richtig verstand. Aletta wusste, dass sie es nicht so machen durfte wie Jorit. Jeder Versuch, sich zu rechtfertigen, würde für Maike Peters eine Bestätigung ihres Verdachts sein.
»Ihre Tochter hat mein ganzes Mitgefühl«, sagte sie deshalb nur steif. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden ...«
Sie überquerte die Straße und ging auf das Gartentor zu, hinter dem ihr Elternhaus lag. Noch bevor sie es erreicht hatte, hörte sie die Tür der Mügges ins Schloss fallen. Sie drehte sich um. Maike Peters war nicht mehr zu sehen. Daraufhin entschied Aletta sich anders und lief eilig die Stephanstraße hinab. Sie erreichte Jorit, kurz bevor er die Maybachstraße überquerte.
Er blieb stehen, als sie seinen Namen rief, und drehte sich um. Mit ernstem Gesicht blickte er ihr entgegen. »Du hast es mir noch nicht versprochen«, meinte Aletta atemlos. »Sag mir, dass du Insa ... dass du uns nicht verraten wirst. Bitte!«
Jorit gab mit einer wegwerfenden Handbewegung zu verstehen, dass Verrat für ihn nicht infrage kam, warnte aber gleichzeitig: »Halt du dich da raus, Aletta. Ich habe Angst um dich! Wenn deine Schwester das Risiko eingeht ... niemand würde dir verübeln, dass du sie nicht der Polizei auslieferst. Aber selbst da bin ich nicht sicher. Lass dich nicht wieder auf dem Speicher blicken. Sollte Sönke gefunden werden, wird er ins Verhör genommen. Und Sönke ist nicht fähig zu lügen, das weiß jeder. Er wird bei der Wahrheit bleiben, er kann gar nicht anders. Wenn er aussagt, dass du dich nicht an seiner Versorgung beteiligt hast, dann wird man ihm glauben. Und du kannst davonkommen, obwohl du von Sönke gewusst hast. Man wird dir zugutehalten, dass du deine Schwester schützen wolltest.«
Es kam Aletta so vor, als wollte er weitergehen und keine Entgegnung von ihr hören, deshalb griff sie nach seinem Arm und hielt ihn fest. »Ich kann mich nicht raushalten! Wenn ich Insa jetzt im Stich lasse, wird sie mich erst recht zurückweisen. Sönke ist die Chance, dass sie mich endlich akzeptiert.« Und hilflos setzte sie hinzu: »Vielleicht hat sie mich sogar ein bisschen lieb, wenn ich ihr helfe.«
Jorit starrte sie an, als könnte er nicht glauben, was sie sagte. »Aletta Lornsen, die berühmte Sängerin ...?«
»Damit ist es vorbei«, unterbrach Aletta ihn heftig. »Jedenfalls fürs Erste. Hier bin ich keine berühmte Sängerin, siehst du das nicht? Und solange Krieg ist, bin ich es sowieso nicht. Du weißt, wie das ist mit Insa und mir. Sie hat mich immer abgelehnt. Und mittlerweile weiß ich, warum.«
»Du glaubst es zu wissen«, stellte Jorit richtig.
»Sie hat meinetwegen auf ihre Liebe verzichten müssen«, beharrte Aletta. »Vielleicht verzeiht sie mir, wenn sie sich jetzt auf mich verlassen kann.«
Jorit seufzte und schüttelte den Kopf, sagte aber: »Von mir erfährt keiner etwas, so viel ist klar. Mir würde es für den armen Sönke ja auch schrecklich leidtun ...«
Aletta nickte nur, weil sie nicht sagen konnte, warum ihr Sönke ebenfalls am Herzen lag. Noch mehr als allen anderen! Gern hätte sie Jorit gestanden, dass sie als Zehnjährige das Findelkind von der Stufe der Kirchentreppe gehoben und in die Sakristei getragen hatte, dass Sönke ihrem Herzen seitdem so nahe war, wie ihr eigenes Kind ihr nicht hatte kommen können. Doch dann hätte sie auch gestehen müssen, dass sie eine Diebin war, dass sie keinen Einspruch erhoben
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