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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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hatte, als Sönkes Mutter in den Verdacht gekommen war, die Kollekte gestohlen zu haben, und sie hätte erklären müssen, was in der Nacht geschehen war, in der Kai Stobart verschwand. Und dass sie von Angst gequält wurde, seit der kleine Mügge gestorben war, müsste dann auch zur Sprache kommen.
    Als sie am Ende dieser Gedanken angekommen war, stellte sie fest, dass Jorit sie aufmerksam betrachtete. »Ich muss es dir sagen«, flüsterte er, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, der so voller Angst war, dass Aletta erschrak. »Ich bin verheiratet, du hast gerade den Mann verloren, den du geliebt hast, du hast sogar dein Kind verloren, aber ... ich muss es trotzdem sagen. Du sollst es wissen. Vielleicht hilft es dir, wenn du in Schwierigkeiten kommst.«
    Aletta spürte, dass ihr die Knie zitterten. Aber Jorit schwieg,weil zwei in Schwarz gekleidete Frauen vorübergingen, die in die Stephanstraße einbogen, vermutlich, um Okka Mügge zu kondolieren. Er wartete, bis sie außer Hörweite waren, dann sagte er: »Ich liebe dich, Aletta. Es hat sich nichts geändert, seit du vor zehn Jahren gegangen bist. Ich habe es mir nur eingebildet. Und es tut mir schrecklich weh, wenn ich daran denke, was aus unserer Liebe hätte werden können, wenn ich damals die Chance bekommen hätte, mit dir zu gehen.«
    Aletta stand mit hängenden Armen da, sah in sein Gesicht, ertrug es dann nicht mehr und ließ den Blick über seine Uniformknöpfe hinabfallen auf ihre Füße. Wäre sie dorthin gekommen, wo sie vor dem Krieg gestanden hatte, ohne Ludwig?
    Bevor sie sich diese Frage beantwortete, sagte Jorit: »Ich weiß, ich hätte dir bei deinem Aufstieg nicht helfen können, so wie Ludwig Burger es konnte. Aber bei deinem Talent hättest du es sowieso geschafft. Und ich hätte dich nicht weniger geliebt als er.«
    Er griff nach ihren Armen, zog sie näher zu sich heran, widerstand aber der Versuchung, sie fest an seine Brust zu ziehen und vielleicht sogar zu küssen. Trotzdem würde jeder, der sie sah, diese Verlockung erkennen, so deutlich stand sie zwischen ihnen, und auch das tiefe Gefühl, das sie verband, wenn Aletta es auch immer noch Freundschaft nannte. Sie wollte gerade ansetzen, Jorit zu erklären, wie kostbar für sie die Liebe war, die sie früher verbunden hatte, und dass sie nicht weniger kostbar geworden war, seit sie dieser Liebe einen anderen Namen gegeben hatte. Und sie wollte ihm erklären, wie wichtig es war, dafür Sorge zu tragen, dass diese Liebe nicht erneut in ihre Gegenwart eindrang ... Aber als ihre Augen sich in sein Gesicht zurück wagten, bemerkte sie, dass seine Haltung starr wurde und er über ihren Kopf hinwegsah. Erschrocken ließ er von ihr ab, so heftig, als wollte er sie eigentlich zurückstoßen. Ohne sich umzudrehen, war Aletta klar, dass Maike Peters sich näherte.Schon Stunden vorher hatte sie ihren Seidenschal umgelegt, damit er ihre Stimme warmhielt. In letzter Zeit hatte sie ihn gelegentlich am Haken neben der Haustür hängen lassen, aber nun trug sie ihn im Hause genauso wie draußen, bei gutem und schlechtem Wetter gleichermaßen. Nach den Stimmübungen, die für Reik neu waren, die er aber gewissenhaft absolvierte, sangen sie ihr Repertoire, änderten nach den Vorschlägen von Robert Fritz, der sich als sehr erfahrener Konzertbesucher entpuppte, die Reihenfolge der Lieder, versuchten es nach dieser Umgestaltung noch einmal und genossen, als der Abend hereinbrach, das berauschende Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Für Reik waren sie neu, diese Sicherheit, das passende Programm ausgewählt zu haben, und der Optimismus, damit einen Erfolg zu verbuchen. Für Aletta war beides notwendig, sonst hätte sie niemals eine Bühne betreten.
    Während sie ihre Soli probierte, sang sie zunächst in Reiks Gesicht, das voll verklärter Bewunderung war, dann in Robert Fritz’ schwärmerisches Lächeln, wandte den Blick dann aber nach innen, Ludwig zu.
    »Sing, wenn du an mich denkst! Sing, wenn du mir nah bist.«
    Sie sang für Ludwig, sie war ihm so nah, wie sie ihm immer gewesen war, wenn sie sang, und wusste, dass es so bleiben würde, solange sie singen konnte, dass sie nicht mehr würde singen können, wenn sich daran etwas ändern sollte. Sie sang, wie jeder Sänger singen sollte, der seine Zuhörerschaft berühren will, ob sie aus zwei Männern oder einem riesigen Publikum bestand. Dass sie alles richtig gemacht hatte, dass sie immer noch alles richtig machen konnte, dass ein paar

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