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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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wusste jeder, welchen Auftrag er auszuführen hatte. Im Laufe des Tages würde er einen Kindersarg zimmern müssen, in dem der kleine Mügge zur letzten Ruhe gebettet wurde.
    Aletta blieb stehen und sah Dirk Stobart entgegen. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, dann sorgte er dafür, dass die Pferde direkt vor der Tür zum Stehen kamen, zog die Bremse an und stieg ab. Erst als er neben seinem Wagen stand, blickte er wieder zu Aletta, die sich noch nicht weiterbewegt hatte und ihn beobachtete. Als sähe er schweren Herzens ein, dass sich so manches nicht einfach totschweigen ließ, kam er schließlich zu ihr und grüßte sie scheu. All das Anmaßende war verflogen, das Siegessichere sowieso, und das Verschlagene, das in seinen Augen gestanden hatte, als er Aletta zum Schweigen zwingen wollte, hatte nackter Angst Platz gemacht.
    »Wer hätte gedacht, dass es bei den Mügges so bald wieder eine Beerdigung geben würde«, sagte er und beobachtete Aletta so scharf, als erwartete er von ihr eine Bemerkung, die alles ändern würde.
    Aber sie zuckte nur mit den Schultern und sah an ihm vorbei zur Haustür der Mügges. »Vielleicht haben Sie Glück«, sagte sie leise. »Für den kleinen Sarg muss das Grab nicht besonders tief ausgehoben werden.«
    Diese Hoffnung machte Dirk sich anscheinend auch, aber sein Gesicht blieb sorgenvoll, seine Nasenflügel bebten, und sein linkes Augenlid zuckte. Er sah so aus, als hätte er nicht mehr richtig geschlafen, seit der kleine Mügge krank geworden war. »Vielleicht war es ein Fehler«, meint er leise, »Kais Sachen mit ihm zusammen zu begraben.«
    Aletta sah ihn ungläubig an. »Sie haben danach sein persönliches Hab und Gut geholt und dann ...« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, sondern nur ein Stöhnen zustande.
    »Wo sollte ich es sonst lassen?«, verteidigte sich Dirk. »Ich dachte, in dem Grab findet niemand den Kasten mit seinen Papieren. Es sollte doch alles so aussehen, als hätte er Sylt verlassen, weil er Pfaffe werden wollte und kein Zimmermann. Meine Eltern wussten, dass er als Vaters Nachfolger nicht glücklich war. Sie haben damit gerechnet, dass er irgendwann in einem schwarzen Talar wieder auftaucht.«
    »Und sie haben sich nicht gewundert, dass er nie etwas von sich hören ließ?«
    »Doch«, gab Dirk zu. »Aber sie sind ja bald gestorben ...«
    Er sah auf seine Füße und beobachtete seine unruhigen Zehen, die die Spitzen seiner Arbeitsschuhe vibrieren ließen. »Er wäre nie ohne den Siegelring gegangen, den er als Ältester von unserem Großvater geerbt hatte, und nie ohne die Armbanduhr, die er bekommen hatte, als er die Meisterprüfung bestand. Und natürlich hätte er auch seine Zeugnisse mitgenommen, denn er musste schließlich auf dem Festland irgendwie sein Geld verdienen.«
    »Und das alles steckt in dem Holzkästchen, das Sie mit ihm begraben haben?« Aletta betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Wenn morgen in dem Grab eine Leiche gefunden wird, wüsste niemand, um wen es sich handelt. Aber diese Grabbeigaben werden alles verraten.«
    Dirks Stimme klang jetzt weinerlich. »Ich war völlig kopflos in jener Nacht. Erst Kais Vorwürfe und dann noch BonckesFlucht ... Ich habe geschworen, danach ein normales Leben zu führen, mit der Zimmerei, mit einer Frau und einer Familie.«
    »Und einem jungen Geliebten«, ergänzte Aletta höhnisch.
    »Das wollte ich nicht.«
    »Soll das heißen, Sönke hat es so gewollt?«
    Stobart antwortete nicht, er sah sogar so aus, als hätte er mit den Tränen zu kämpfen.
    »Machen Sie sich Sorgen um ihn?«, fragte Aletta leise.
    Dirk nickte verlegen. »Erstaunlich, dass sie ihn noch nicht gefunden haben. Da gibt es einen Oberleutnant, der hat alle Häuser durchsucht, wo Menschen wohnen, die mit Sönke Kontakt hatten.«
    »Ihr Haus auch?«
    »Natürlich. Und die Häuser sämtlicher Pflegeeltern, bei denen Sönke gewohnt hat.«
    »Dann scheint er bei Leuten versteckt zu sein, die keine enge Beziehung zu ihm haben.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Dirk. »Wer geht ein solches Risiko ein? Nein, er wird sich irgendwo in den Dünen verborgen halten.«
    »Dort hat sich die Inselwache breitgemacht.«
    »Sönke kennt sich aus. Er wird ein gutes Versteck gefunden haben.«
    »Aber wie lange wird er sich dort verborgen halten können? Er muss sich gelegentlich herauswagen, um sich etwas zu essen zu besorgen. Die Entenjagd ist schwierig geworden ...«
    Bevor sie eine Antwort bekam, öffnete sich die Tür der Mügges, jemand trat auf die

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