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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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aber eine kleine Windbö, die ins Haus gefahren war, hatte den Vorhang bewegt, hinter dem die junge Frau lag. Sie war jung, noch keine zwanzig. Ihre blonden Haare fielen ihr strähnig übers Gesicht, sie hatte einen Daumen in den Mund gesteckt wie ein verängstigtes Kind. Die Beine hielt sie angezogen, als wollte sie ihren Leib schützen, der seine Frucht längst hergegeben hatte. Der winzige Augenblick, in dem der Vorhang aufgeschwungen war, hatte gereicht, Aletta das Bild einzuprägen. Ihre Flucht aus dem Haus kam zu spät.
    Vor der Haustür hatte sie sich ihren Seidenschal so fest wie möglich um den Hals geschlungen und darauf gewartet, dass Frauke Lützen ihr folgte. Ihr Haus lag am Fuß der Dünen, der Eingang war dem Meer zugewandt, die Steinmannstraße führte im Rücken des Hauses vorbei. Wer sicher sein wollte, nicht gesehen zu werden, wenn er die Engelmacherin aufsuchte, konnte auch vom Strand her zu ihrem Haus gelangen. Es war, als hätte der Erbauer schon gewusst, dass später etwas in diesem Haus geschehen würde, was im Verborgenen bleiben musste.
    Frauke war bald aus dem Haus getreten und zu ihr gekommen. Ehe sie etwas sagen konnte, hatte Aletta gefragt: »Warum hat sie das machen lassen, wenn sie jetzt so traurig ist?«
    Aber Frauke hatte sie nur erstaunt angesehen. »Jede Frau ist traurig, wenn es vorbei ist. Auch dann, wenn sie das Kind auf keinen Fall haben wollte. Und auch dann, wenn sie andererseits voller Erleichterung ist. Aber diese hier ...«, sie hatte einen Blick zurückgeworfen, »... ist von ihrem Vater gezwungen worden.«
    Als es so früh an ihrer Tür geklopft hatte, war sie auf den Vater des Mädchens gefasst gewesen, der seine Tochter abholen wollte, nachdem die Schande, die sie der Familie zugefügt hatte, getilgt worden war. Frauke öffnete die Tür sonst nie für einen Fremden, solange eine Frau bei ihr war, die Hilfe bei ihr gesucht hatte.
    Nun radelte Aletta die Steinmannstraße hinunter, rechts von ihr nur die Dünen, dahinter das tobende Meer. Der Morgen war frisch, die Sonne hatte noch keine Kraft. Vor der Herrenbadstraße begann die Bebauung Westerlands. Frauke Lützens kleines Haus lag einsam zwischen Wenningstedt und Westerland. Sicherlich nicht günstig für eine Näherin, aber genau richtig für eine Engelmacherin.
    Ohne jede Regung hatte sie zugehört, als Aletta ihr erklärt hatte, warum sie gekommen war. »Sönke braucht Ihre Hilfe.«
    Frauke hatte ein paar Fragen gestellt, dann genickt und gesagt: »Ich komme, sobald die junge Frau abgeholt worden ist. Vielleicht habe ich Glück, und ihr Vater nimmt mich auf seinem Wagen mit. Wenn er sich nicht mit mir zusammen sehen lassen will, dauert es länger.«
    »Können Sie was mitbringen, was ihm seine Schmerzen nimmt?«
    Frauke Lützen hatte genickt. »Getrocknete Blüten vom Wiesengeißbart! Davon kann ich einen Tee kochen.«
    »Und der hilft?«
    Frauke war sich nicht sicher gewesen. »Außerdem habe ich immer einen Sud im Haus, den ich aus Beinwell koche. Der hilft bei Verletzungen. Und Kamillenblüten zur Wundheilung bringe ich auch mit.«
    Aletta hatte gezögert, ehe sie Frauke verließ. »Warum tun Siedas für Sönke?«, fragte sie dann leise, so leise, als hätte sie Angst vor ihrer eigenen Frage. »Und warum geht meine Schwester das Risiko ein, ihn zu verstecken?«
    »Wir mögen Sönke. Alle mögen ihn! Keiner will, dass er im Krieg umkommt. Und Sönke ist jemand, den es immer trifft. Er kann sich nicht wehren.«
    »Sie kennen ihn gut?«
    »Er ist als kleiner Junge oft zu mir gekommen.«
    »Lebten Sie schon auf Sylt, als er geboren wurde?«
    Aletta hatte diese Frage betont beiläufig gestellt, während sie nach dem Fahrradlenker griff und schon einen Fuß auf die Pedale setzte.
    Aber Frauke Lützen hatte verstanden, was sie wirklich fragen wollte. Sie lächelte, als wollte sie Aletta sagen, dass sie es nicht besonders klug angestellt habe, wenn sie etwas herausbekommen wolle. Sie schwieg Aletta ein wissendes Lächeln ins Gesicht, so dass dieser nichts anderes übrigblieb, als sich zu verabschieden. Wie hatte sie nur auf die Idee kommen können, dass Frau Lützen sich ihr anvertraute? Nach so vielen Jahren des Schweigens?
    Sie ärgerte sich über sich selbst, während sie auf die Zimmerei Stobart zufuhr. Insa hatte gesagt, Frauke Lützen sei erst nach Sönkes Geburt auf die Insel gekommen. Aber ... konnte sie das glauben? Ihre Schwester belog sie häufig. Und sie wusste nicht einmal, warum ...
    Sie fragte sich, wie

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