Sturm über Sylt
macht?« Sie nickte zur ersten Etage hoch, wo die Stimme von Maike Peters mittlerweile die Vorherrschaft errungen hatte. »Die beiden sollten besser nichts davon erfahren. Jorits Schwiegermutter ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, aber Aletta konnte sich vorstellen, was Beeke sagen wollte.
Jorits Schwester sprach immer schneller. »Jorit kennt vielleicht jemanden bei der Polizei. Wenn er dort vorspricht ... Ich muss Dirk was zu essen bringen, die Verpflegung im Gefängnis soll katastrophal sein.« Sie lief zur Tür, aber als sie schon die Klinke in der Hand hielt, fiel ihr noch etwas ein. »Was hattest du da draußen bei der Zimmerei zu tun?«
Aletta wurde von dieser Frage überrascht. »Okka Mügge hatte mich geschickt«, stotterte sie und wies auf Okkas Fahrrad, als könnte es als Beweis für ihre Behauptung herhalten. »Ich sollte für die Beerdigung noch etwas klären.«
Diese Aussage reichte Beeke. »Der arme Kleine!«, seufzte sie. »Und die arme Okka!«
Dann winkte sie Aletta zu und verschwand im Haus. Aletta stieg wieder aufs Fahrrad und fuhr in die Stephanstraße, wo sie zunächst Okka Mügges Fahrrad an seinen Platz stellte, ehe sie nach Hause ging.
Die Küche war leer, die benutzten Teller und die Brotrestezeigten, dass Hauptmann Hütten und Leutnant Fritz ihr Frühstück beendet hatten. Vermutlich waren sie längst zu ihrem Dienst aufgebrochen. Aber wo war Insa?
Aletta lief in den Gästetrakt, doch in den beiden Zimmern, die die Soldaten bewohnten, fand sie ihre Schwester nicht. Die Betten waren nicht gemacht, das Waschgeschirr war noch nicht weggeräumt. Insa musste bei Sönke sein.
Sie lief zurück und stieg die Treppe hoch. Schon auf den oberen Stufen konnte sie Sönkes Weinen hören. Erschrocken riss sie die Tür zum Speicher auf, schloss sie sorgfältig hinter sich und lief die Treppe hinauf, die zu Sönkes Versteck führte.
»Still!«, rief sie, noch ehe sie bei Sönke angekommen war. »Man kann dich im ganzen Haus hören!«
Sönke lag auf dem Bett und krümmte sich, das gebrochene Bein wie einen Fremdkörper hingestreckt. Alettas Erscheinen sorgte zwar dafür, dass er sein Weinen unterbrach und sich Mühe gab, es hinter zusammengebissenen Zähnen zu unterdrücken, aber sie merkte, dass seine Schmerzen längst die Herrschaft übernommen hatten. Sönke litt, und in seinem Kopf hatte nichts anderes Platz als dieses Leid. Angst vor Entdeckung, vor Bestrafung, vor dem Tod ... das war alles hinausgedrängt worden von den Schmerzen, die er litt.
Insa schob ihm ein Stück weiches Holz zwischen die Zähne und wies ihn an, fest zuzubeißen, wenn die Schmerzen zu stark wurden. Doch er spuckte es aus, und als er erneut zu schreien begann, nahm Insa ein Kissen und hielt es so lange auf sein Gesicht, bis aus dem Schreien ein Wimmern geworden war. »Wo bleibt Frauke?«
»Sie kommt, so schnell sie kann.« Aletta betrachtete Sönke verzweifelt. »Wenn sie das Bein schient ... davon werden seine Schmerzen nicht geringer.«
»Nicht sofort«, gab Insa zurück, »aber irgendwann wird’s ihm bessergehen.«
»Und bis dahin? Frauke will einen Tee mitbringen und einenSud aus irgendwelchen Kräutern ... aber ob das alles gegen so starke Schmerzen hilft?«
»Was sollen wir sonst tun? Wir können nur dafür sorgen, dass ihn niemand hört.«
Frauke Lützen ließ auf sich warten. Als sie endlich an die Tür klopfte, war sie außer Atem und verschwitzt. Sie hatte den weiten Weg zu Fuß zurücklegen müssen, der Vater des Mädchens hatte sich geweigert, sie in seinem Wagen mitzunehmen. Er wollte verhindern, dass irgendein Passant sich die Wahrheit zusammenreimte, wenn er seine Tochter zusammen mit der Engelmacherin sah.
Sönke starrte Frauke ängstlich auf die Hände, als sie aus ihrer Tasche holte, was sie brauchte: hölzerne Schienen, Verbandsmaterial, den Beinwellsud und die Kamillenblüten, die sie Insa gab, damit sie sie in die Küche brachte. »Den Tee aus Wiesengeißbart werde ich gleich kochen. Er muss frisch sein.«
»Aber noch bevor die Soldaten zum Mittagessen kommen«, mahnte Insa.
Sönke wurde starr vor Angst, aber Frauke redete so lange beruhigend auf ihn ein, bis er schließlich versprach, sich gegen keine ihrer Maßnahmen zu sträuben und nicht den geringsten Laut von sich zu geben.
Aletta tuschelte Insa zu, dass sie zum »Hotel Lauritzen« müsse, dass sie Beeke versprochen habe, Jorit abzufangen. »Er muss Bescheid wissen, dass Dirk Stobart verhaftet wurde.«
Insa nickte nur, fragte
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