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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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war keine Zeit!
    Emmes Wunsch jedoch, ihre Geschwister zu verständigen, konnte sie nicht zurückweisen. »Ich sage Beeke Bescheid!«, hatte Aletta gerufen, dann war sie losgeradelt, hatte gefühlt, wie ihr Seidenschal ihr nachflog, war schließlich noch einmal vom Fahrrad abgestiegen, um ihn fester zu binden, damit er ihr nicht vom Fahrtwind entrissen wurde.
    Sie hatte den Blick bemerkt, den Emme auf diesen Schal geworfen hatte, der nicht zu dem schlichten Kleid ihrer Mutter passte, und befürchtete nun, dass sie für Emme wieder die berühmte Sängerin geworden war, die sich nicht um das Leid kleiner Leute scherte. Und das tat ihr am meisten weh.
    Der Umweg über die Paulstraße wog zum Glück nicht schwer. Im »Hotel Lauritzen« war alles ruhig. Der Portier stand längst nicht mehr davor, die Zimmermädchen waren ebenfalls in ihre Heimatorte entlassen worden, auch Beeke war nicht zu sehen, Jorit vermutlich im Dienst. Aletta stellte das Rad am Zaun ab und wollte auf den Eingang zugehen. Aber schon nach wenigen Schritten blieb sie erschrocken stehen. Aus einem halbgeöffneten Fenster in der ersten Etage kam ein entsetzlicher Laut. Das Klagen eines Menschen, das tief in der Kehle entstand, hinter einer Zunge, so dick und schwer, dass sie jedem Laut das Menschliche nahm und aus ihm etwas Barbarisches machte. Das Klagen steigerte sich zu einem Schreien, hinter dessen Hilflosigkeit das Weh eines ganzen Lebens steckte. Aletta hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, um vor diesem Jammer, dieser Verzweiflung verschont zu bleiben.
    Die Tür flog auf, Beeke stürzte heraus. Als sie Aletta bemerkte, veränderte sich ihre Miene. Hastig und verlegen wischte sie den Widerwillen aus ihrem Gesicht und öffnete die geballten Fäuste. Sie trat auf Aletta zu, um sie zu begrüßen, doch in diesem Augenblick steigerte sich das Schreien zu einem gurgelnden Kreischen, von einer Stimme, die sich verzweifelt abmühte, die sich nochnicht aufgegeben hatte und immer weiter versuchen würde, sich zu artikulieren. Nun aber griff eine tiefe männliche Stimme ein. Sie wiegte das Schreien, bis es schwächer wurde, und eine energische weibliche Stimme fing es schließlich auf.
    Beeke und Aletta hatten wie erstarrt dagestanden, auf dieses Ende gewartet, und atmeten nun erleichtert auf. »Es ist furchtbar«, flüsterte Beeke. »Ich schäme mich, aber ich kann es nicht ertragen. Tommas Eltern sind wirklich zu bewundern. Ich frage mich, was geworden wäre, wenn Tomma hier auf Sylt hätte versorgt werden müssen.«
    »Die Arme!« Mehr brachte Aletta nicht heraus, der in diesem Moment das Ausmaß dieses Schicksals ein Stück näher gekommen war. »Und der arme Jorit!«
    »Es bringt ihn um«, flüsterte Beeke. »Hat er jemals mit dir darüber gesprochen?«
    Aletta schüttelte den Kopf. Nein, keine einzige Klage war über Jorits Lippen gekommen. Wortlos hatte er das Schicksal angenommen und war trotzdem fähig gewesen, seine Liebe zu Aletta zu erkennen. Oder waren diese Gefühle eine Zuflucht für ihn, in der Tommas Leid erträglich wurde?
    Aletta schüttelte die Frage ab, die hier an der falschen Stelle war. »Hat Jorit Dienst?«, fragte sie leise.
    Beeke nickte. »Um zwölf macht er Pause. Was bin ich froh, dass er bei der Inselwache ist und nicht irgendwo im Feld, in einem Schützengraben ...«
    »Ob es auf Sylt so ruhig bleibt?«
    Beeke zog ein bedenkliches Gesicht. »Zu erwarten ist es nicht.«
    Als sollten ihre Zweifel bekräftigt werden, stiegen mehrere Marineflieger in List auf.
    Beeke hielt sich die Ohren zu, bis sich der Lärm entfernte, dann fragte sie: »Soll ich Jorit was ausrichten?«
    »Es geht dich genauso an. Euer Schwager ist verhaftet worden. Ich kam zufällig vorbei und habe es gesehen.«
    Beeke starrte Aletta entsetzt an. »Was wirft man Dirk vor?«
    »Er soll seinen Bruder umgebracht haben. Kais Leiche ist gefunden worden. Im Grab der Mügges! Seine persönlichen Sachen auch! Daran hat man ihn identifiziert.«
    »Gütiger Himmel!« Beeke drehte sich um, lief zur Tür, kehrte aber noch mal zurück. »Danke, dass du Bescheid gesagt hast. Ich muss sofort zu Emme.« Wieder lief sie zur Tür, aber erneut kehrte sie zurück. »Du glaubst doch nicht, dass er Kai umgebracht hat?«
    Aletta schüttelte den Kopf, ohne Beeke anzusehen.
    »Niemals!«, bekräftigte Beeke. »Dirk ist zwar kein guter Ehemann, Emme ist nicht glücklich mit ihm, aber ein Mörder? Nein!« Sie sah Aletta nachdenklich an. »Kannst du Jorit abfangen, wenn er Pause

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