Sturm über Sylt
aushielt«, meinte Weike verzagt.
»Es war etwas ganz anderes, was er nicht ausgehalten hat.« Aletta griff nach Weikes Hand und ignorierte die zuckenden Finger, die sich gern befreit hätten. »Weike, von dir habe ich einiges gelernt, was in meinem Elternhaus nicht ausgesprochen wurde. Zum Beispiel das Wort ... schwul.«
Nun war es heraus! Aletta sah, dass Weike erstarrte, erkannte die Abwehr in ihren Augen und das Feuer des Zorns, das aber sofort wieder erlosch. Der Widerstand jedoch blieb. Aletta las es von ihrem Gesicht ab: Nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich, das hätte sie gemerkt, solche Männer waren widerliche Waschlappen, ekelhafte Kerle, sie taten Schreckliches, sie verstießen gegen das Gesetz und gegen göttliches Gebot, sie waren Sünder, so einen konnte sie nicht geheiratet haben ...
Aletta unterbrach ihre Gedanken: »Er hat dich vermutlich geheiratet,um jeden Verdacht zu zerstreuen. Die Ehe ist immer noch das beste Alibi für einen Homosexuellen.«
»Du meinst ... ich habe ihm gar nichts bedeutet?«
»Das kann ich nicht beurteilen«, antwortete Aletta vorsichtig. »Aber sicherlich warst du nicht das für ihn, was du sein wolltest. Vielleicht eine gute Freundin?«
Die Abwehr erlosch Stück für Stück, eine Erinnerung nach der anderen brachte sie zum Einsturz. Trotzdem fragte Weike: »Woher weißt du das?«
»Glaub mir einfach.«
»Du vermutest es nur?«
»Nein, ich weiß es ganz sicher. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich die Wahrheit sage.«
»Ich könnte ihn anzeigen«, stieß Weike plötzlich hervor, deren Selbsterhaltungstrieb so jäh hervorschoss, dass Aletta regelrecht erschrak. »Wahrscheinlich könnte ich die Ehe sogar annullieren lassen.«
»Glaubst du, dass dir das hilft?«, fragte Aletta. »Würde es dir danach bessergehen?«
Weike dachte nach, dann schüttelte sie den Kopf. Und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. »Ich weiß nicht, wo er ist. Ich könnte ihn gar nicht anzeigen, selbst wenn ich wollte. Ich kann mich ja nicht mal von ihm scheiden lassen, solange ich nicht weiß, wo er sich aufhält!«
Aletta glaubte, dass ihr eigener Zorn auf Boncke Broders genauso heftig war wie Weikes. »Eine Scheidung würde dir helfen?«
Weike nickte heftig. »Das wäre ein Abschluss.« Und wieder kamen ihr die Tränen. »Ich habe immer gehofft, er könnte die Trennung bereuen und zu mir zurückkommen. Ich kann nicht mit ihm abschließen, solange ich mit ihm verheiratet bin. Wenn er mich schon verlassen musste, dann hätte er auch diese Hoffnung mitnehmen müssen.« Sie schluckte die Tränen hinunter, die ihr in die Augen gestiegen waren. »Einmal hat es einen anderenMann gegeben. Einen guten, anständigen Mann! Damals war ich sogar noch jung genug, um schwanger werden zu können. Aber er wollte nicht mit einer verheirateten Frau zusammenleben. Er wollte klare Verhältnisse. Eine geschiedene Frau, das hätte er in Kauf genommen, obwohl seine Mutter ihn davor gewarnt hatte, aber eine Frau, deren Mann jederzeit wieder auftauchen und Ansprüche stellen kann? Nein, das war zu viel für ihn.«
Nun wusste Aletta, dass sie richtig gehandelt hatte, wenn Weike selbst auch noch eine Weile für diese Erkenntnis brauchen würde. »Ich könnte mich erkundigen, ob es möglich ist, trotzdem die Scheidung zu beantragen. Boncke ist ja schon seit Jahren verschwunden.«
Weike flüsterte nun. »Seit Krieg ist, denke ich daran, dass ich irgendwann eine Nachricht bekomme. Boncke Broders auf dem Feld der Ehre gefallen!« Ein kleiner Triumph hatte in dem letzten Satz mitgeschwungen, dann wurde ihr Stimme wieder leise und hoffnungslos. »Ich hatte sogar darauf gewartet, dass sein Gestellungsbefehl zu mir geschickt wird. Zu unserer gemeinsamen Adresse! Ich wohne ja immer noch dort, wo ich mit Boncke gelebt habe.«
»Demnach hat er sich umgemeldet«, überlegte Aletta. »Die Behörden kennen seine Adresse. Also müsste man seinen Aufenthaltsort herausfinden können.«
»Hoffentlich liegt er in Russland in irgendeinem Schützengraben«, sagte Weike düster. »Oder auf dem Soldatenfriedhof.«
»Wir finden ihn«, machte Aletta ihr Mut. »Spätestens nach dem Krieg. Tot oder lebendig. Und wenn er noch lebt, dann sorge ich dafür, dass du geschieden wirst und ein neues Leben anfangen kannst. Das verspreche ich dir.«
Insa hatte kein Wort mehr mit ihr gesprochen, obwohl auch Frauke ihr versichert hatte, wie gut es sei, dass Sönke nun keine Schmerzen mehr litt, und wie beruhigt sie
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