Sturm über Sylt
erst Insa, dann Aletta an und wusste nun, dass sie im Hause Lornsen nicht die Unterhaltung bekommen würde, auf die sie gehofft hatte. »Emme meint ja, Kai sei einem Raubüberfall zum Opfer gefallen. Aber ob man ihr glauben kann?«
Nun entschloss sich Aletta doch zu einem Einwand. »Warum soll sie nicht recht haben? Wenn Kai die Insel verlassen wollte, hatte er sicherlich Geld dabei.«
Hinrika hatte sich schon erhoben und ließ sich nun wieder auf den Stuhl zurücksinken. »Das soll Dirk Stobart auch gesagt haben. Er bestreitet alles. Er habe mit dem Tod seines Bruders nichts zu tun.«
Insa nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet, Aletta nickte, als glaubte sie an Dirks Unschuld. Das war Hinrika entschieden zu wenig. Sie erhob sich erneut, entschlossen, in einem anderen Nachbarhaus nach Zerstreuung zu suchen. Als sie sogar auf ihren Gruß nur ein Nicken erntete, verließ sie verärgert die Küche und stapfte über den Rasen in ihren Garten zurück.
»Wo ist der Schlüssel?«, fragte Insa, kaum dass sie allein waren.
Aletta musste ihren ganzen Mut zusammennehmen. »Ich habe ihn verloren.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du musst ihn wiederfinden.«
»Ja.«
»Wie soll ich erklären, dass von nun an unsere Haustür verschlossen ist?«
»Du kannst die Schuld auf mich schieben. Ich habe sie am Abend abgeschlossen und am Morgen den Schlüssel nicht wiedergefunden.«
Aletta war froh, dass die Antwort, die Insa auf den Lippen lag, nicht ausgesprochen wurde. Denn in diesem Moment klopfte es an der Tür. Aletta sprang auf, lief in die Diele und erkannte durch das Fenster in der Haustür Jorits Umrisse. Sie rief ihm zu, er möge den Eingang durch die Küche benutzen, und lief ihm durch den Garten entgegen.
Er war so überrascht, als sie sich in seine Arme warf, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. »Unser Schlüssel! Hast du ihn gefunden?«
Jorit wusste nicht, wovon sie sprach. »Ich bin gekommen, um zu hören, ob das Aspirin anschlägt. Oder musstet ihr ihm das Opium geben?«
»Unser Hausschlüssel ist dir nicht aufgefallen?«
»Nein«, antwortete Jorit. »Ich will das Fläschchen holen. Es muss in den Medikamentenschrank zurück, sonst merkt mein Schwiegervater schnell, was passiert ist. Füllt es bitte in ein anderes Gefäß um. Dann stelle ich die Flasche zurück. Und bis mein Schwiegervater merkt, dass sie leer ist, kann er sich nicht mehr zusammenreimen, wo das Opium geblieben ist.«
Aletta nickte flüchtig, dann löste sie sich von Jorit und erzählte ihm, dass ihr die Flasche aus den Händen geglitten war und sie sich gebückt hatte, um sie unter dem Schrank hervorzuholen. »Dabei könnte mir der Schlüssel aus der Tasche gerutscht sein.«
Jorit runzelte die Stirn. »Ich habe nichts gesehen. Aber ich laufe sofort zurück und schaue nach. Vielleicht hast du ihn ja auch auf dem Weg verloren?«
Das wollte Aletta gern glaubten, aber es gelang ihr nicht. »Was ist, wenn deine Schwiegermutter den Schlüssel gefunden hat?«
»Sie wüsste dann nicht, wem er gehört.«
»Ach, Jorit!« Sie seufzte auf und schmiegte sich an seine Brust.Er war Tommas Mutter einfach nicht gewachsen. Noch immer glaubte er daran, dass niemand an seiner Lauterkeit zweifeln konnte und dass die Liebe, die er Aletta gestanden hatte, das Leben nicht veränderte. Nicht sein Leben, nicht das seiner Frau und ihrer Eltern. Aber sie sagte nichts dazu, damit Jorit nicht auf die Idee kam, sich vor seiner Schwiegermutter zu rechtfertigen. Das hatte er schon viel zu häufig getan.
»Ich habe mit meinen Schwiegereltern über Aspirin und Opium geredet«, sagte er und ergänzte schnell, als er Alettas erschrockenes Gesicht sah: »Ganz unauffällig! Weil der alte Christiansen nun gestorben ist und alle froh sind, dass er ohne Schmerzen war, als er die Augen für immer schloss. Er hat einen Teelöffel bekommen, damit war er für mehrere Stunden schmerzfrei. Mehr wäre gefährlich gewesen, sagt mein Schwiegervater. Also seid vorsichtig mit der Dosierung. Am besten, ihr wartet ab, ob die Schmerzen zurückkehren. Der alte Christiansen hat immer erst den nächsten Schluck bekommen, wenn er es nicht mehr aushielt.« Er steckte nervös die Hände in die Hosentaschen. »Hol die Flasche, Aletta. Sie muss zurück in den Medikamentenschrank.«
Insa trat gerade aus der Küchentür, sie hatte den letzten Satz gehört und machte ohne ein Wort kehrt. Kurz darauf erschien sie mit der Flasche in der Hand erneut im Garten. »Ich habe es
Weitere Kostenlose Bücher