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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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die Frauke mitgebracht hatte. Sie verstand, reichte sie ihm und sah zu, wie sie unter seiner Decke verschwand. Bis sie wieder zum Vorschein kam, betrachtete sie die Bücher, die Insa ihm hingestellt hatte: die Klassiker, die früher im Wohnzimmerschrank der Eltern gestanden hatten, und zwei Abenteuerromane aus der Jugendzeit Geert Lornsens. Aletta war sicher, dass Sönke keines dieser Bücher je angefasst hatte.
    Mit verlegenem Gesicht reichte er ihr die Flasche, die halb gefüllt war. Dass er damit seine Körperwärme auf sie übertrug, machte ihr Schwierigkeiten. Mit dem strikten Bemühen, sich ihren Widerwillen nicht anmerken zu lassen, trug sie die Flasche hinaus.
    Als sie sie später im Ausguss neben dem Komposthaufen entleerte, wurde sie auf Geräusche aus dem Garten der Obelichs aufmerksam. Sie schaute sich um und sah einen schwachen Umriss am Zaun. Ein Mann? Etwa Hauptmann Kalkhoff? Als er jedoch im nächsten Augenblick verschwunden war, glaubte sie an eine Sinnestäuschung. Dann jedoch ein Geräusch! Ein Scharren, ein Knacken. Wer hielt sich da auf der anderen Seite des Zauns auf, ohne sich zeigen zu wollen? Sie ging sehr langsam zum Haus zurück, ohne den Gartenzaun aus den Augen zu lassen, der in der Dunkelheit nur schwach zu erkennen war. Die Schatten dahinter konnten genauso gut der Umriss eines Menschen als auch der eines aufragenden Busches sein. Dass sich dort drüben jemand aufhielt, der sie beobachtete, glaubte sie nun ganz fest. Dennoch traute sie sich nicht, Insa vor dem Hauptmann zu warnen. Sie rief sich ins Gedächtnis, was er zu Insa gesagt hatte, nachdem Sönke vom Dach gefallen war. »Noch ein paar Tage, dann fällt die Entscheidung!« Und dann noch diese rätselhafte Ergänzung: »Ihre arme Schwester!« Was mochte er damit gemeint haben?
    Aletta zögerte, dann setzte sie entschlossen die Flasche neben der Küchentür ab. Insa hatte gesagt, es handle sich um eine Verwechslung. Wenn das stimmte, dann gab es nichts zu befürchten, und wenn Insa sie belog, dann musste sie selbst mit den Folgen fertig werden.
    Eine halbe Stunde später lag Aletta im Bett und lauschte ins Haus hinein. Insas Schritte waren im Erdgeschoss zu hören. Die Küchentür ging, ihre Schritte kamen heraus und gingen wieder hinein. Vermutlich bereitete sie das Frühstück für die beiden Soldaten vor, damit es morgen früh schneller ging. Ludwigs Bild erschien vor ihren Augen, wie immer, wenn der Schlaf zu ihr kam, sie hörte seine Stimme, und sie dachte mit einer Freude, die von ihrer Trauer nicht zu unterscheiden war, an den morgigen Tag, an das Konzert in der Baracke des Klappholttals. Nur für Ludwig würde sie singen, nur für ihn. Vielleicht würde sie dann wieder glücklich sein können, ein oder zwei Stunden ...
    Sie wurde von einem Schrei aus dem Schlaf geschreckt. Ein heftiges Dröhnen folgte, dann wieder ein Schrei. Der erste war weiblich gewesen, der zweite männlich. Und nun ein dünnes, langgezogenes, nicht enden wollendes Geheul. Wie das Kreischen einer hellen Säge! Dann ein Poltern, rhythmisch, gefährlich, endgültig. Ein letztes, ein allerletztes Dröhnen, anschließend herrschte Ruhe. Aber nur kurz! Dann setzte das sägende Kreischen wieder ein, dieses helle Schreien, das durch die Nacht schnitt, ausdruckslos, ohne Auf und Ab. Und schließlich Insas Stimme: »Halt den Mund! Hör auf!«
    Das Geheul endete schlagartig, die Stille, die folgte, war beinahe noch beängstigender. Was immer das Poltern, Schreien und Heulen zu bedeuten hatte – es durfte nicht nach draußen dringen! Wer es hörte, würde vor dem Haus erscheinen, an der Tür rütteln und Erklärungen verlangen! Aletta sprang aus dem Bett und lief, ohne sich etwas überzuwerfen, zur Tür. Dort zwang sie sich zur Ruhe und öffnete leise und behutsam, nur so weit,dass sie mit einem Auge hindurchschauen konnte, ihre Zimmertür. Erschrocken sog sie die Luft ein. Die Speichertür war einen Spaltbreit geöffnet! Und dahinter hörte sie nun Rascheln und unterdrücktes Schluchzen.
    Sie machte einen Schritt auf den Flur hinaus. »Insa?«
    »Aletta! Komm! Hilf mir!« Noch nie hatte Insas Stimme so verzweifelt geklungen. Und noch nie war sie so angefüllt gewesen mit Bitten und Flehen.
    Im Nu stand Aletta vor der Speichertür. Insas Gestalt füllte den Spalt aus. Sie stand auf der letzten Treppenstufe, ihre Bluse war zerrissen. Sie hielt sich am Geländer fest und beugte sich hinab, eine Hand aufs Herz gepresst. Wohin? Worüber? Und was hielt sie da in der

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