Sturm über Sylt
genug erinnern konnte, und verzichtete darauf, ihnen zu erklären, dass die Sonne schnell untergehen und von da an sowohl der Sternenhimmel als auch das Licht des neuen Tages hinter Wolken verborgen bleiben konnten. Sollten sie den Beifall genießen!
Jorit erwartete sie hinter der Bühne, half ihr von dem Gerüst, auf dem sie provisorisch errichtet worden war, und begleitete sie zu der kleinen Baracke, die ihr als Künstlergarderobe diente. Reik und Willem Schubert kamen ihnen nachgelaufen. Ihr unterschiedlicher Rang war jetzt ohne Bedeutung, sie waren nur Sänger und Pianist.
»Das müssen wir feiern, Frau Lornsen! Auf diesen Erfolg sollten wir etwas trinken. Wir besorgen einen guten Tropfen.«
Bevor Aletta eine Antwort geben konnte, kam Oberst von Rode auf sie zu, der der Künstlerin formvollendet dankte. »Wunderbar, Gnädigste! Sie haben mich verzaubert!«
Jorit verdrückte sich prompt. Aletta warf ihm einen Blick nach und nahm dann sämtliche Komplimente lächelnd entgegen, während sie ihre Garderobe betrat und sich vor dem Schminktisch niederließ. Dass der Oberst wusste, wie schlecht ihre Vorstellung gewesen war, glaubte sie ganz sicher, aber das Ziel war erreicht worden: Die Soldaten der Inselwache waren für ein paar Stunden aus der Ödnis ihres eintönigen Wachdienstes geholt worden. In den nächsten Tagen, so hoffte Oberst von Rode, würde keiner davon reden, dass er lieber an die Kampffront wollte, als auf Sylt vor Langeweile umzukommen.
»Sie gestatten, dass wir gleich noch ein Gläschen Champagner auf Ihren Erfolg trinken? Mein Wagen wird sie ins Hotel ›Zum Deutschen Kaiser‹ bringen. Ich werde Sie dort mit der ganzen Kommandantur erwarten.«
Aletta bedankte sich artig und bat darum, einen Wunsch äußern zu dürfen.
»Jeden, Gnädigste! Jeden!«
»Ich habe einen Bekannten unter den Soldaten entdeckt, den ich lange nicht gesehen habe und gern begrüßen würde. Könnten Sie so freundlich sein, ihn zu mir schicken zu lassen?«
Der Oberst versicherte, er werde sofort eine entsprechende Anordnung erteilen, und brüllte seinem Adjutanten den Namen Boncke Broders zu, der ihn unverzüglich weiterrief. Dann knallte er ein letztes Mal die Hacken zusammen, verließ ihre Garderobe und warf die Tür so energisch ins Schloss, als sollte niemand sie noch einmal öffnen dürfen.
Jorit ließ sich davon nicht beeindrucken, erschien schon Augenblicke später wieder hinter Aletta und sah ihr im Spiegel zu, wie sie ihren Haarknoten löste, der diesmal ohne ein schmückendes Netz ausgekommen war.
Sie ließ die Hände sinken. »Jorit, kann es sein, dass deine Schwiegermutter meinen Schlüssel gefunden hat? Vielleicht ist sie zu unserer Haustür gegangen, um auszuprobieren, ob er passt. Damit hatte sie dann den Beweis!«
»Und anschließend hat sie deinen Seidenschal gestohlen?«, fragte Jorit spöttisch. »Das hat sie nicht nötig. Sie hat Dutzende davon.«
»Sie hat Angst, dass du Tomma verlässt.«
»Ich werde immer die Verantwortung für meine Frau tragen«, antwortete Jorit. »Das sollte sie wissen.«
»Aber du hast gesagt, am liebsten würdest du mit mir nach Hamburg gehen.«
Jorit drehte sich um, dann ging er in ihrem Rücken auf und ab, während sie sich die Schminke vom Gesicht wischte. »Ich habe mit Oberst von Rode gesprochen.« Er ließ ein kurzes Lächeln in den Spiegel springen, als wollte er Aletta schon jetzt von dem überzeugen, was kommen würde. »Er ist auf meiner Seite. Er mag meine Schwiegermutter nicht.«
Aletta ließ das Tuch sinken, mit dem sie sich die Lippen abwischte, und starrte Jorit mit großen Augen an. Was wollte er ihr sagen?
»Er glaubt, er könnte etwas für mich tun, wenn ich wirklich nach Hamburg möchte. Er will dafür sorgen, dass ich beim Schutz des Hafens eingesetzt werde.«
Auf Alettas Brust entstand ein unerträglicher Druck, der sich nur mit einem Stöhnen lösen ließ. »Ich habe nicht die Absicht, nach Hamburg zu gehen. Du weißt doch ...«
»Ja, das Geheimnis deiner Mutter.« Jetzt griff er nach der Stuhllehne und beugte sich über ihre rechte Schulter, um ihrem Spiegelbild so nahe wie möglich zu sein. »Aber ich weiß auch, dass du singen musst. Wenn das Angebot gut ist, wirst du es annehmen. Und wenn du gehst, dann komme ich mit. Hörst du? Wenn der Krieg vorbei ist, gehen meine Schwiegereltern sowieso mit Tomma wieder nach Hamburg zurück, ich kann dort weiterhin für sie da sein. Du darfst mich nie wieder zurücklassen, wenn du gehst. Versprichst du
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