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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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konnte ihm nicht nah sein. Dass ihre Zuhörer trotzdem begeistert applaudierten, bewies nicht etwa, dass sie sich selbst unterschätzt hatte, dass sie besser war als geglaubt, sondern nur, dass sie das Publikum richtig eingeschätzthatte. Diese Männer würden alles beklatschen, einen Clown genauso wie eine große Sängerin.
    Reik jedoch, dem die Erfahrung fehlte, strahlte sie so herausfordernd an, nachdem er sich tief verbeugt hatte, dass sie schließlich nicht anders konnte, als ihm so zuzulächeln, als sei auch sie zufrieden mit ihrer Darbietung. Auch Oberleutnant Schubert sprang vom Klavierhocker und verbeugte sich zackig. Sein selbstgefälliges Lächeln vertiefte sich von Lied zu Lied, und er verstieg sich während einer Opernarie in theatralische Akkorde, aus denen er nur mühsam zurückfand.
    Schließlich gab Aletta es auf. Sie tat das, wovor Vera Etzold sie immer gewarnt hatte: Sie spulte ihr Programm herunter, als wollte sie es möglichst schnell hinter sich bringen. Sie konzentrierte sich nicht einmal mehr über die Köpfe der Zuschauer hinweg auf einen imaginären Punkt, was ihr sonst immer bei der Konzentration half, sondern betrachtete einen Soldaten nach dem anderen, hielt nach bekannten Gesichtern Ausschau, freute sich an der Aufmerksamkeit einiger weniger, wie Oberst von Rode und Leutnant Fritz, und sang gegen die Verächtlichkeit an, die sie für alle anderen empfand.
    Reik allerdings hatte sich in einen Rausch gesungen, das Glück des Augenblicks machte ihn euphorisch. Bei »Wenn die Sonne scheinet« legte er sogar den Arm um sie, obwohl nichts dergleichen verabredet worden war. Aber Aletta ließ es lächelnd geschehen und fühlte sich wohl mit dieser vertraulichen Geste, während sie sonst Spontanitäten auf der Bühne missbilligte. In diesem Moment bedauerte sie sogar, dass Reik nicht ihr großer Bruder war.
    Ihr Blick fiel auf Jorit, während sie sang. Endlich hatte sie ihn gefunden und konnte in sein Gesicht, in seine Augen, in seinen Mund singen, der ihr zulächelte. Als Reik sie jedoch mit dem letzten Ton an sich drückte und, während der Beifall aufbrandete, ihre Schläfe küsste, verdüsterte sich seine Miene. War er etwa eifersüchtig? Dieser Gedanke amüsierte sie dermaßen, dasssie lachte, obwohl sie viel lieber nach Hause gegangen und wäre dieses Konzert so schnell wie möglich vergessen hätte.
    Aber natürlich musste sie durchhalten. Und bei ihrem letzten Lied machte sie es so wie immer: Sie wartete, bis absolute Stille eingetreten war, was diesmal sehr lange dauerte, aber schließlich hatte auch der letzte Soldat begriffen, dass er seine Beifallskundgebungen unterbrechen musste. Dann erst begann sie mit »Guten Abend, gut’ Nacht ...«.
    Nun schien sie endlich die erhoffte Wirkung zu erzielen. Die Gesichter füllten sich mit einem leisen Staunen. Auch hier war sie nicht gut, aber doch gut genug, um viele Herzen zu erreichen, die bisher womöglich nie von der Musik erreicht worden waren. Ihr Blick ging über die Menge, blieb wieder an Jorit haften, an Hauptmann Hütten, der ganz still geworden war, und ging dann über ein Gesicht, zu dem ihre Augen zurückhuschten, kaum dass sie über den nächsten Kopf hinweggegangen waren. Dieses Gesicht kannte sie! Ein Mann, sehr gut aussehend, dunkelhaarig, mit einem schmalen Gesicht, aus dem kleine, dunkle Augen stachen, einem schmallippigen Mund und einem sorgfältig gestutzten Schnäuzer. Seine Haltung war anders als die seiner Kameraden, die breitbeinig dasaßen, die Ellbogen auf die Knie gestützt oder die Arme vor der Brust verschränkt. Dieser Mann trug seine Uniform mit Eleganz, er schob die rechte Schulter vor, die Finger seiner gekreuzten Arme spielten auf den Bizeps, die Beine hatte er übereinandergeschlagen.
    Bei der letzten Zeile »Schau im Traum ’s Paradies ...« wusste sie, wer er war, noch bevor der Beifall lostobte. Boncke Broders, der flüchtige Geliebte von Dirk Stobart, Weikes verschollener Ehemann.
    Reik Martensen und Willem Schubert waren berauscht von ihrem Erfolg, ließen sich von den Wellen des Beifalls tragen und schauten in ein ganz neues Glück, von dem sie nicht gewusst hatten, wie wunderbar es war: Erfolg! Strahlend wie ein herrlicher,klarer Sternenhimmel stand er über ihnen, sie brauchten sich nur hinzulegen, hineinzuträumen und darauf zu warten, dass die Sonne aufging, um sie und ihren Erfolg zu bescheinen.
    Aletta gönnte ihnen diese Euphorie des ersten gelungenen Auftritts, an den sie sich selbst noch gut

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