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Sturm über Sylt

Sturm über Sylt

Titel: Sturm über Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Getränk.
    »Es ist Krieg! Kann ja nicht angehen, dass die Gefangenen es besser haben als die Sylter selbst.«
    Einmal hörte sie Dirk schreien: »Wie oft denn noch? Nein, ich habe meinen Bruder nicht umgebracht!«
    Aber ihm ging es nicht besser als Aletta. Henksen nannte ihn ebenfalls verstockt und kündigte an, dass er schon noch zur Vernunft kommen werde, wenn er ein bisschen die Daumenschrauben anzog.
    Sie hätte gern Kontakt mit Dirk aufgenommen, aber Matta, die Wärterin, die für die weiblichen Gefängnisinsassen zuständig war, passte auf, dass die Vorschriften eingehalten wurden, die den Kontakt zwischen Männern und Frauen nicht vorsahen. Auch der Gang über den Hof, der den Häftlingen einmal am Tag zugestanden wurde, erfolgte streng nach Geschlechtern getrennt. Für Aletta bedeutete das: Sie blieb allein. So allein wie in ihrer Zelle.
    Was würde mit ihr geschehen? Die Öffentlichkeit, die Obrigkeit, die Bürger Sylts – sie alle hielten ihr Augenmerk auf den Krieg gerichtet, was in den Zellen des Westerländer Polizeigewahrsams geschah, interessierte niemanden. Irgendwann würde sie von einem ebenso uninteressierten Richter abgeurteilt und in ein Gefängnis aufs Festland gebracht werden. Und dort würde man sie vollends vergessen. Anton Heussner würde später achselzuckend von ihr reden, ihre Stimme sei wohl schon früh am Ende gewesen, ihr letztes Konzert im Klappholttal habe es gezeigt, danach habe er nichts mehr von Aletta Lornsen gehört ...
    Aber Jorit! Insa! Reik! Pfarrer Frerich! Warum kamen sie nicht, um ihr zu helfen? Wurden sie nicht vorgelassen? Wollte Henksen den Stolz und die Zuversicht von Aletta Lornsen brechen, indem er ihr Besuch vorenthielt? Wenn er das schaffte, würde sie womöglich alles gestehen, was er ihr vorwarf. Wenn sie allein war, wenn niemand sich um sie kümmerte, wenn sie der Welt da draußen gleichgültig geworden war, dann konnte sie ebenso gut einen Mord gestehen oder sich umbringen. Dann war ihr Lebenzu Ende. So mochte Henksen denken, und Aletta spürte, dass seine Rechnung aufgehen könnte.
    Andererseits ... den Pfarrer konnte auch ein Oberkommissar nicht abweisen. Niemals würde Tjarko Frerichs unverrichteter Dinge zurückkehren, nur weil es Henksen gefiel, ihn nicht zu einer Gefangenen lassen zu wollen. Wie würde es sie trösten, wenn er mit ausgebreiteten Armen auf sie zukommen und »Mein Kind« rufen würde. Wenn alles so war, wie sie vermutete, dann liebte er sie, wenn er es auch nicht zeigen durfte, er war ihr Vater, so wenig sie sich auch mit dieser Tatsache abfinden mochte. Er hatte es leicht, ihr zu helfen, weil alles im Rahmen seiner Seelsorge geschah. Warum kam er nicht zu ihr?
    Aletta griff sich in die Haare, die fettig und strähnig waren, weil Matta ihr erklärt hatte, dass die Benutzung von Shampoo nur einmal im Monat vorgesehen sei. »Es ist Krieg. Viele Sylter können sich kein Haarwaschmittel leisten. Kann ja nicht angehen, dass die Gefangenen es besser haben als die unbescholtenen Bürger.«
    Die Wärterin redete Oberkommissar Henksen alles nach, tutete immer ins selbe Horn und schien keinen Mut für eigene Gedanken und Ansichten zu haben. So war sie auch wie Henksen der Meinung, dass es denen, die jahrelang geglaubt hatten, etwas Besseres zu sein, mal so richtig heimgezahlt werden müsse. Mattas Haare waren dünn und strähnig, warum also sollte nicht auch Aletta Lornsen mal fettige, strähnige Haare haben? Mattas Gebiss war verfärbt und lückenhaft, warum sollte die berühmte Sängerin ihre Zähne putzen und pflegen dürfen? Matta hatte einen Mann, der geizig war und ihr das Geld abnahm, das sie verdiente, der nicht einmal für kriegstauglich befunden worden war, um seiner Frau den Gefallen zu tun, sie für eine Weile frei sein zu lassen. Nein, Matta besaß nach wie vor kein Geld, um sich mal ein bisschen hübsch zu machen, also brauchte auch eine Operndiva keine seidene Unterwäsche. Matta hatte sie konfisziert und angekündigt, sie werde Aletta frische Wäsche zuteilen, wenn sie es für angemessen halte.
    Wenn es Nacht wurde, wenn im Büroraum die Öllampe erlosch, wurde es auch in Alettas Herz finster. Was würde der nächste Tag bringen? Würde er einer von vielen endlosen anderen Tagen sein, die sie noch erwarteten?
    »Jorit!«, schluchzte sie oft leise. Warum kam er nicht zu ihr? Er liebte sie doch!
    »Insa!« Warum half sie ihrer kleinen Schwester nicht? Wenn sie Aletta auch nicht lieben konnte, wenn sie Aletta sogar verabscheute, es ihr

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