Sturm über Sylt
Kommissar zeigte auf die Tür, hinter der Aletta in den ersten Jahren ihres Lebens geschlafen hatte.
»In eine winzige Kammer. Sie steht leer.«
Wachsmann vergewisserte sich, dass sie die Wahrheit sagte, dann zeigte er auf die Speichertür. »Und was ist da?«
»Jede Menge Gerümpel«, antwortete Aletta und betrat ihr Zimmer. »Wollen Sie etwa dabei sein, wenn ich Wäsche einpacke?«
Ja, das wollte Kommissar Wachsmann unbedingt. Misstrauisch betrachtete er jedes Teil, das sie in eine Tasche steckte, und ließ sie nicht aus den Augen, während sie durchs Zimmer ging und überlegte, was sie sonst noch würde brauchen können. Schließlich nahm sie das Foto ihrer Eltern und steckte es als Letztes in die Tasche. »Das ist alles. Morgen komme ich mit Sicherheit zurück.«
»Wenn Sie meinen«, gab Wachsmann grinsend zurück.
Dann packte er ihren Arm und drängte sie die Treppe hinab. Erst als sie durch die Haustür geschoben wurde, fiel Aletta ein, dass nun niemand wusste, wohin sie gebracht wurde. Was würde Insa glauben, wenn sie morgen erwachte und ihre Schwester nicht vorfand?
XVI.
Der Wind heulte ums Haus, manchmal ächzte und stöhnte er, dann wieder spielte er mit hellen, verlockenden Tönen, und schließlich heulte er wie ein angriffslustiger Wolf.
Die vierte Nacht auf dieser Pritsche! Drei Tage ohne ein Zeichen von Insa und Jorit. Warum suchte ihre Schwester sie nicht? Warum erkundigte sich Jorit nicht bei Oberst von Rode nach ihr? Oder war Heussner abgereist, ohne mit dem Oberst zu reden? Wusste niemand, wo sie war?
Aletta zog die raue Wolldecke bis zum Kinn, weil sie fror, schob sie aber gleich wieder weg, als ihr der Geruch in die Nase stieg, den all die hinterlassen hatten, die vorher darunter schlafen mussten. Immer wieder hatte sie Oberkommissar Henksen gebeten, ihrer Schwester etwas auszurichten, damit sie sie besuchte. Aber er hatte nur hämisch gelacht.
»Tja, die gute Insa Lornsen ist wohl froh, dass sie ihre Schwester los ist! Das weiß ja auf Sylt jeder, dass es zwischen euch beiden nie besonders einvernehmlich war! Nun ist Schluss mit der Sonderbehandlung, verehrte Dame! Auch eine berühmte Sängerin wird vor Gericht gestellt, wenn sie jemanden umgebracht hat.« Von da an duzte er sie wieder wie damals, als sie noch gemeinsam die Schulbank gedrückt hatten. »Hast du ihm frühmorgens aufgelauert? Aus dem Bett geschlichen, solange deine Schwester noch schlief? Die gute Insa durfte davon natürlich nichts mitbekommen.«
Je länger er sie verhörte, desto deutlicher wurde für Aletta,dass es ihm nicht nur darum ging, die Wahrheit herauszufinden, einen Fall zu klären und abzuschließen, sondern vor allem darum, dass jemand, der seinesgleichen zurückgelassen und woanders ein besseres Leben begonnen hatte, es nicht verdiente, gerecht behandelt zu werden.
»Meinst wohl, du bist was Besseres! Aber hier ist kein Theater. Dies hier ist die raue Wirklichkeit. Kennst du wohl schon gar nicht mehr!«
Sie fragte sich, warum er sich keine Gedanken über die Spurenlage machte, war aber andererseits froh, dass er nicht auf die Idee kam, dass Kalkhoff nicht an dieser Straßenecke erschlagen, sondern nach seinem Tod dort abgelegt worden war. Eigentlich hätte der Oberkommissar sich darüber wundern müssen, dass ein Opfer mit einer so tiefen Kopfwunde so wenig Blut verloren hatte. Aber Aletta war erleichtert. Die Suche nach dem wirklichen Tatort hätte schreckliche Folgen für Insa und Sönke gehabt.
Der Polizeigewahrsam bestand neben den Büroräumen aus zwei Gewölben, eines für Frauen und eines für Männer, die jeweils in vier Zellen unterteilt waren. Gitterstäbe trennten sie von dem Gang, der am Ende eine Tür hatte, durch den die Wärter ein und aus gingen. Die Zellen selbst waren durch festes Mauerwerk voneinander getrennt. So konnten die Häftlinge zwar miteinander reden, sich aber nicht sehen.
Da es außer ihr keine andere weibliche Inhaftierte gab, blieb Aletta Tag für Tag allein. Ein Verhör am Morgen, manchmal auch noch eines am Nachmittag, alle mit dem gleichen Ergebnis. Dann wurde sie wieder in ihre Zelle gebracht, weil sie sich, wie Henksen sagte, derart verstockt zeige, dass sie wohl noch etwas Zeit brauche, um endlich ihren dummen Stolz aufzugeben.
»Wir können auch anders! Zum Beispiel die Essensrationen kürzen. So was hilft immer.«
Prompt erhielt sie als Abendbrot nur einen Becher Wasser, einen Kanten Brot und dazu ein Stück Margarine. Keine Wurst, kein Käse, kein warmes
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