Sturm ueber Thedra
gespielten Flöte drang aus dem Fels, schwoll an und ebbte wieder ab, so dass die Luft um den Höhleneingang herum zu pulsieren schien. Immer schriller wurde der Ton, bis in die unhörbaren Bereiche hinein und brach dann plötzlich mit einem Klirren ab. Den Rest der Nacht und den ganzen folgenden Tag lang waren das Flüstern des Windes und das ferne Rauschen des Flusses wieder die einzigen Geräusche, die in ewig gleichem Lied über das Hochplateau zogen.
Nur sehr langsam kehrte das Bewußtsein in den Körper des alten Mannes zurück, der im Dunkel der Höhle auf dem Rücken lag und mit geschlossenen Augen seit Hunderten von Jahren auf seine Wiedererweckung wartete. Er hatte den Tod und die Schwäche seines alten Körpers überlisten wollen, aber er wußte noch nicht, ob es wirklich gelungen war. Für ihn war keine Zeit vergangen, seit er die Höhle sorgsam verschlossen hatte, um hier zu sterben. In tiefer Dunkelheit hatte er seinen Leib mit den Kristallen des Lebens präpariert und sich in die kalte Steinwanne gelegt, die die Gasblase an dieser Stelle gebildet hatte.
Er war enttäuscht gewesen. Sein Plan, das Geheimnis in den Bergen sofort zu ergründen, hatte sich nicht mehr verwirklichen lassen. Er war zu spät aufgebrochen. War auch sein Geist rege und kämpferisch wie eh und je, so war doch sein Körper zu alt und verbraucht, um allein noch weiter in das Große Gebirge vorzudringen. So hatte der Alte sich dann diesen Platz gesucht, um zu sterben.
Es war hart gewesen, still auf den Tod zu warten, selbst für ihn, der doch an Verzicht und Askese gewöhnt war. Mit geschlossenen Augen hatte er verfolgt, wie die Kristalle sich auf seinem Körper ausgebreitet hatten. - Wie sie zuerst an den feuchteren Hautstellen zu wachsen begannen und dann nach und nach den ganzen Körper mit einer spröden Kruste überzogen. Es war hart gewesen, mitzuerleben, wie sie sich die Atemwege und die Speiseröhre heruntergearbeitet hatten, aber es hatte sein müssen.
Der alte Mann hatte eingesehen, dass er sein Ziel nicht ohne fremde Hilfe erreichen konnte, aber er hatte vorgesorgt: Im Schutz der Kristalle würde er die Zeit überdauern, bis man ihn rief. Die Kristalle würden seinen Körper überziehen und ihn vor Austrocknung schützen, indem sie die Luftfeuchtigkeit weiterleiteten; sie würden die Gifte aus seinem Leib saugen und sie wiederum an die Luft abgeben, während er tot war. Sie würden ihn schützen und ernähren, und er würde Jahrhunderte überdauern können. - Aber es war dennoch hart gewesen, zu sterben.
Überall war Sand! Es war eine Qual ohne Ende! Die letzte Phase des Sterbens war für den Mann nahtlos in das erste Stadium des Erwachens übergegangen. Die winzigen Kristalle, die seine Haut bis in den letzten Winkel überkrustet hatten, waren zu Staub zerfallen.
Sand! Überall Sand! Auf der Haut und in den Augen, auf der Zunge und tief bis in Lunge und Magen hinein. Sand zwischen den Fingern und Sand unter dem Körper; einfach überall!
Einen vollen Tag lang blieb der Mann regungslos liegen und versuchte, sich darüber klar zu werden, was mit ihm vorging. Langsam war die Erkenntnis in ihm gewachsen: Dies war nicht mehr das ekelhafte Gefühl, das die wachsenden Kristalle auf seiner Haut verursacht hatten, es hatte sich etwas geändert. - Er war gerufen worden!
Langsam öffnete der Mann die Augen. Die Schmerzen waren fast unerträglich, als der feine Sand zwischen den sich öffnenden Lidern hervorperlte. Es knirschte in den Gelenken, als er versuchte, eine Hand zu bewegen - aber es half nichts. Er konnte nicht ruhig liegenbleiben - mußte sich einfach bewegen, sich aufsetzen, trinken! Er nahm alle Willenskraft zusammen und richtete sich mit unbeholfenen Bewegungen auf. Seine Gelenke machten Geräusche, als würden Steine aufeinander mahlen, und eine dumpfe Schmerzwelle drang in sein Gehirn. - Den Göttern sei Dank, waren auch die Nervenbahnen noch nicht auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, sonst hätte der Mann sich vor Schmerzen nicht rühren können und wäre zu guter Letzt doch noch gestorben.
Wasser! Mit unsicherem Griff tastete der Mann in der Dunkelheit umher. Jetzt nur nicht den Krug umwerfen! Er brauchte Wasser, oder er war dazu verdammt, hier sitzenzubleiben, bis der Tod ihn gnädig erlöste. Endlich fand seine Hand den schlanken Hals der gläsernen Karaffe. Vorsichtig, unendlich vorsichtig zog er den gläsernen Verschluß von dem Gefäß und führte es zum Mund.
Schon der erste Schluck brachte
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