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Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
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über das Sumpfland hinweg, hinter dem in weiter Ferne die ersten Klippen des Meeresufers zu erkennen waren. Gerade wollte sie den ersten Schritt in das Ödland hinein tun, als sie sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, umdrehte und zu dem Felsen zurückging. Dort legte sie ihr Bündel und die Waffen ab, stellte sich auf die Zehenspitzen und griff nach dem kleinen Relief. Die Fingerkuppen Teris linker Hand reichten gerade an das Ahornblatt heran. Fest drückte sie die Hand an den Stein und schloß die Augen.
    Zunächst war nichts weiter zu spüren, als die übliche Ausstrahlung von Stein. - Ein monotones, endloses Lied von den Vorgängen in der Natur; von sonnendurchglühten Tagen, an denen einst der Wind über die körnige Oberfläche gestrichen war und von klirrender Kälte, die sich tief in den geäderten Stein verbissen und Teile davon abgesprengt hatte. Von Grassamen erzählte der Fels, die, von heißen Winden herbeigeweht, zu Millionen versucht hatten, ihre Wurzeln in die feinsten Risse zu treiben und von Regen, der so manches lockere Sandkorn in das Gras gespült hatte. - Aber das war noch nicht alles.
    Leise erst, dann immer deutlicher, wie die Töne einer schrillen Flöte, die zum Takt einer großen Trommel gespielt wird, drängte sich ein Gefühl von Ehrgeiz und aggressiver Geschäftigkeit in den Vordergrund. Nur wenige Schläge hatte der Mann damals gebraucht, um das Ahornblatt in den Fels zu meißeln - er hatte es eilig gehabt. Teri spürte Unrast. - Die Ungeduld eines Mannes, dem nicht mehr viel Zeit blieb, der von seiner Sterblichkeit wußte und seine Zeit für noch nicht gekommen hielt.
    Teri zog die Hand zurück. Der Mann mußte eine wirklich mächtige Ausstrahlung gehabt haben. - Aber er war kein sonderlich angenehmer Charakter gewesen, das stand fest.
    Mühsam nahm Teri Bündel und Waffen wieder auf; der rechte Arm machte immer noch Schwierigkeiten. Noch einmal schaute sie den Weg entlang, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Nichts war zu erkennen, außer dem fernen Horizont, und dennoch lag eine stumme, unbestimmte Drohung über dem so friedlich wirkenden Land.
    Mit einem Schulterzucken setzte Teri sich in Bewegung und überquerte den Weg. Unwillig zog sie das schwere Bronzeschwert wieder an sich, das von der Schulter gerutscht und scheppernd auf den Boden geschlagen war. Bislang war die Waffe nur lästig gewesen und sonst gar nichts. Aber dennoch mochte Teri sich nicht davon trennen.
    Das Sumpfland erwies sich als fester als erwartet, aber dennoch waren Teris Stiefel schon nach ein paar Dutzend Schritten durchweicht. Immer wieder geriet sie auf bedenklich weichen Boden, der unter ihren Schritten gurgelnd und schmatzend nachgab. Immer wieder mußte sie Umwege machen, um weite Flächen offenen Wassers zu umgehen. Langsam nur rückten die Felsen am westlichen Horizont näher.
    Teri ging weiter. Mit jedem Schritt vorsichtig den Boden auf seine Tragfähigkeit prüfend, tastete sie sich durch das Moorland auf die Felsen zu, und obwohl sie sich mit allen Sinnen auf ihren Weg konzentrierte, mußte sie immer wieder an die Ausstrahlung des steinernen Ahornblatts, oder besser, des Mannes denken. Etwas daran machte ihr Sorgen. - Fast noch mehr Sorgen, als dieser trügerische Sumpf: Da war ganz deutlich dieser schrille Unterton in ihren Empfindungen gewesen. - Dieser leichte Anflug von zynischer Bosheit.

    Nachdem Teri die Überreste eines toten Kaninchens entfernt hatte, das vor Zeiten hier verendet war, machte sie es sich in der Nische gemütlich, so gut es ging. Wie immer, wenn sie Fell oder Knochen eines toten Tieres berührte, wunderte sie sich darüber, wie leicht diese Geschöpfe starben. Ob ein Tier nun an Altersschwäche verendete, erfror, oder von einem Raubtier getötet wurde, es war immer dasselbe: Immer spürte Teri nur ein sanftes Erstaunen darüber, nicht mehr laufen zu können und eine alles überdeckende Dunkelheit. - Selbst die Maus, die von der Katze mit Katzengrausamkeit gejagt wurde, wußte nicht, dass sie sterben würde und empfand nicht die panische, unwürdige Angst, wie sie nur Menschen befallen kann.
    Es war ganz einfach: Tiere wußten nichts vom Tod! Sie waren nicht in der Lage, sich gegenseitig mit Geschichten vom Sterben Angst zu machen. Sie lebten in den Tag hinein, ohne zu wissen, dass es irgendwann ein Ende geben würde. Jedes, auch das kleinste und schwächste Tier war davon überzeugt, ewig leben zu dürfen - bis es eines Tages mit eben jenem sanftem Erstaunen

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