Sturm ueber Thedra
ging. Durchnäßt würde sie den Marsch nach Moorstadt nie schaffen, darum zog sie schnell ihre Kleider aus und ging, nur mit ihrem dünnen Unterzeug bekleidet, barfuß auf das Eis. - Wenn sie jetzt einbrach, dann hatte sie wenigstens noch etwas Trockenes zum Anziehen.
Teri hatte für ihren Versuch eine Stelle ausgewählt, an der das Eis von weißer undurchsichtiger Farbe war. Aus ihrer Kindheit in Thedra wußte sie, dass diese Stellen von besonderer Dicke und Tragfähigkeit waren. Trotzdem knirschte das Eis verdächtig unter ihren nackten Füßen, als sie mit vorsichtig tastenden Schritten den schmalen Wasserlauf überquerte. Endlich war sie auf der anderen Seite. Das Eis hatte sie getragen. Teri drehte sich um und fing ihre Kleidung auf, die Fakun ihr zuwarf. Schnell zog sie sich an.
Als Nächster war Hund an der Reihe. Fakun band ihm das Seil um den Körper, und Hund arbeitete sich mit rutschenden Pfoten über das Eis, während Teri ihn absicherte. Dann warf sie das Seil wieder Fakun zu.
Jetzt kam der kritische Teil der Unternehmung: Fakun war viel schwerer als Teri! Nachdem er sich ausgezogen und seine Kleidung zu ihr herübergeworfen hatte, nahm Teri das Seil fest in ihre klammen Hände. Vorsichtig betrat Fakun das Eis. Am Rand war es noch fest genug, aber als er zu Mitte kam, sah Teri, wie sich von Fakun ausgehend, Risse in der umgebenden, transparenten Eisschicht bildeten, zwischen denen Wasser hervorquoll. "Spring!", rief sie laut und zog gleichzeitig das Seil straff.
Fakun machte einen unbeholfen wirkenden Hopser, denn das Eis, an dem er sich hatte abstoßen wollen, brach plötzlich unter seinen Füßen weg. Durch den Zug am Seil kippte er nach vorn, schlug hart auf das Eis am Rand, rutschte bäuchlings gegen die Böschung und blieb bewegungslos liegen.
Teri hielt das Seil straff, während sie sich langsam die Böschung hinunterarbeitete. Sie hatte genau gesehen, wie schwer Fakun aufgeschlagen war; aber als sie unten ankam, richtete er sich schon wieder auf und schüttelte kurz den Kopf, um seine Benommenheit loszuwerden. Dann grinste er Teri frech an. "Bei allen Göttern, das macht Spaß!", behauptete er. "Wann kommt die nächste Überquerung?"
Gegen Abend erreichten sie die große Brücke von Moorstadt. Schon lange waren die ersten Häuser der Ansiedlung zu erkennen gewesen, und es war Teri und Fakun klargeworden, dass sie den Fluß überqueren mußten, um in die Stadt zu gelangen. Teri sang leise ein Wanderlied der Kraan vor sich hin und staunte, wie kräftig und ausdauernd Fakun war. Obwohl sie nun schon den dritten Tag unterwegs waren, ging er mit kräftigen Schritten voran und pflügte mit seinem Körper eine Gasse in den Schnee, in der Teri und Hund mühelos folgen konnten.
Auch als Teri aufgehört hatte, zu singen, war Fakun noch eine Weile vorangestürmt, bis er dann keuchend stehenblieb. "Sing doch noch ein bisschen", schlug er Teri vor. "Das hilft beim Laufen."
Teri fing an, ein thedranisches Lied zu singen, das von Schiffen und Seeleuten erzählte, aber Fakun war nicht zufrieden. "Das andere Lied!", forderte er. "Das Lied, das du eben gesungen hast!"
Brav unterbrach Teri ihre Darbietung thedranischer Volkskunst und stimmte das Lied der Kraan an.
"Das ist besser", behauptete Fakun und marschierte wieder los.
Teri freute sich, dass ihr Freund so stark war. Weit voraus erkannte sie eine lange Brücke, die auf die Stadt zuführte. Wenn Fakun das Tempo durchhielt, würden sie noch vor Einbruch der Dunkelheit in Moorstadt sein. Sie sang das Lied so schön sie konnte, und als es zu Ende war, begann sie wieder von vorn.
Fakun stürmte regelrecht durch den Schnee, so dass Teri und Hund schon Mühe hatten, ihm zu folgen. Schon nach kurzer Zeit war die Brücke erreicht. Teri beendete das Lied mit einem kleinen Schnörkel der Melodie und wollte Fakun gerade ihre Bewunderung aussprechen, als der mit einem Ächzen zusammenbrach.
Teri machte einen schnellen Schritt auf ihn zu. Fakun atmete schwer und keuchend. Sie legte eine Hand auf seine Brust. Sein Herz schlug mit rasender Geschwindigkeit. Er war ganz durchgeschwitzt. Die Augenlider fest zusammengepreßt, das Gesicht schmerzverzerrt, rang er zusammengekrümmt nach Luft.
Teri richtete sich auf. Fakun hatte sich total überanstrengt. Sie mußte ihm helfen, aber wie? - Die Brücke war unendlich lang und völlig verschneit. Es würde ewig dauern, bis sie Hilfe geholt hätte. - Aber sie konnte wenigstens dafür sorgen, dass Fakun nicht
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