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Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
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und liebten es sogar sehr. - Sie benutzten es nur nicht.
    "Geld kann man nicht essen!", lautete eine alte Moorstädter Weisheit, und so vergruben sie es lieber unter der Feuerstelle, steckten es in hohle Deckenbalken, oder schliefen jede Nacht auf ihren Münzen. Die täglichen Einkäufe wurden fast ausschließlich auf der Basis des Tauschhandels abgewickelt, und wer mit Geld bezahlte, der galt bald als in Not geraten.
    So tauschten denn die Moormenschen Tag für Tag Fisch gegen Brot, Brot gegen Bauholz, Bauholz gegen Fischernetze und Fischernetze gegen Fleisch. Bekamen sie einmal ein Geldstück zu fassen, verschwand es alsbald in einem finsteren Versteck und mußte die Wärme freigiebiger Hände vielleicht für immer entbehren.
    Bei all diesem Getausche und Gefeilsche hatten die Moormenschen es fertig gebracht, untereinander mit einer wortkargen Unfreundlichkeit zu verkehren, die jeden Fremden in Erstaunen versetzen mußte. Mangels eines festen Wertmaßstabes fühlte sich bei jedem Geschäft wenigstens eine der Parteien betrogen, was nicht ohne Folgen für das Zusammenleben bleiben konnte.
    Auch sonst war das Leben in Moorstadt nicht amüsant, und das einzige Gasthaus am Ort brachte kaum genug ein, den Wirt zu ernähren. Ein Tag folgte dem anderen in steter Eintönigkeit, denn der Geiz des Herzens und des Geldbeutels gingen Hand in Hand und wurden gepflegt wie Tugenden.
    Rauh und abweisend wie die Menschen war auch das Land: War Moorstadt selbst noch auf festem Grund erbaut, der sich als schmaler Streifen an der Oberkante der Steilküste entlang zog, so war das Gelände im Landesinneren nahezu unpassierbar für den Wanderer. Flache Seen und hohes Schilfgras bestimmten das Bild Moorlands. Unterbrochen wurde diese Idylle ab und an von schmalen Wasserläufen und modrigen Tümpeln, schwimmenden Inseln und ausgedehnten Schlammfeldern.
    Nur wenige kundige Führer waren in der Lage, dieses tückische Hochmoor zu durchwandern und den festen Grund zu erreichen, der sich, zwei Tagereisen weiter östlich, langsam aus dem Sumpf erhob. Die meisten Moorstädter beschränkten sich darauf, mit flachen Kähnen die Seen der näheren Umgebung zu befahren und lebten von dem, was das Moor hergab.
    Süßwasserfische bildeten den Grundstock der Ernährung, aber auch Wasservögel und Rallen konnte der geschickte Jäger hier erbeuten. Einige Moormenschen hatten sich ganz auf die Jagd nach Bisam und Otter spezialisiert und andere auf die Suche nach eßbaren Pflanzen und Wurzeln.
    Eine weitere Nahrungsquelle lag, unterhalb des gewaltigen Steilabfalls, in den großen, vom Meer ausgehöhlten, Steinwannen, die von jeder auflaufenden Flut mit neuem Fisch gefüllt wurden. Doch obwohl die Salzwasserfische ungleich mehr wert waren als die faden Karpfen der Binnenseen, fand sich doch kaum jemand, der es wagte, auf die Felsen hinauszugehen, die auch bei Tiefstand des Wassers von tosender Brandung überspült wurden.
    Die Moormenschen liebten wohl den Fisch, den das Meer gab, das Meer selbst liebten sie nicht. Obwohl die Stadt fast unmittelbar an der Steilküste lag, hatte doch kaum einer der Bewohner in seinem Leben die salzige Gischt des Nordmeeres auf seiner Haut gespürt.
    Wohl hundert Mannslängen tief fielen die Klippen steil ab, und nur wenige Frauen und Männer wagten den gefährlichen Abstieg, um bei Ebbe ihre Netze in die Salzwassertümpel zu werfen, die die Flut zurückgelassen hatte. Nur etwa ein Dutzend Klippenfischer lebten im Dorf, und fast jedes Jahr kam es zu tödlichen Unfällen, wenn sich wieder einmal überraschend ein gewaltiger Brecher aus der Dünung erhob, brausend anschwoll und in breiter Front mit Urgewalt gegen die Steilküste tobte.
    Jetzt, im Winter, wo die Klippen vereist und die Moore hoch verschneit waren, waren beide Arten des Broterwerbs nicht möglich, und so saßen die Familien beim trüben Licht der Binsendochte ihrer Fischöllampen unter den Binsendächern der Häuser auf ihren Binsenmatten und flochten Binsenkörbe für den Körbemarkt, der in jedem Frühjahr in Thedra abgehalten wurde.
    Der Frühling war auch die einzige Zeit des Jahres, in der der Weg nach Thedra benutzt wurde. Jedes Jahr nach der Schneeschmelze machte sich ein unübersehbarer Heerwurm, beladen mit Körben und Matten aller Art, auf den Weg in die Hauptstadt. Wer immer in der Lage war, einige Körbe zu schleppen, mußte mit. Nur die kleinen Kinder und die Alten blieben im Frühling in der Stadt und beteten zu allen Moorgöttern, dass ihre

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