Sturm ueber Thedra
drückte die Kompresse sanft auf die Wunde.
Teri stöhnte leise auf, hielt dann aber ganz tapfer die heiße, triefende Stoffrolle selbst fest, die Noio mit einem langen Stoffstreifen ordentlich befestigte. "Das wird verhindern, dass es zu einer Entzündung kommt", erklärte sie noch. Dann ließ sie endlich von ihrer Patientin ab, deckte sie sorgfältig zu und kam auch zum Feuer.
"So, und jetzt sagt mir doch bitte, was eigentlich passiert ist." Noio hatte sich einen Becher voll Milch geholt und sich zu den Männern gesetzt.
"Gern wären Fakun und ihr Mann der Aufforderung nachgekommen, aber alles war so schnell gegangen, dass sie sich noch keinen Reim auf die Sache hatten machen können. - Sicher war nur, dass Noio sich von einem Augenblick auf den anderen total verändert hatte und dass Teri nicht ganz unschuldig daran war. So ungern er es tat, in einem mußte Arnu den Harmuged recht geben: Teri hatte seine Frau wahrscheinlich wirklich verzaubert.
Fakun konnte auch nicht weiterhelfen, bis Noio begann, von den Vorgängen bei ihrer Veränderung zu berichten. Sie hatte gebetet und dann angefangen zu träumen. Es war wie ein leises Lied gewesen, dass sich in ihre Gedanken schlich und ihr Bilder von einer warmen und freundlichen Welt gezeigt hatte, auf der sich alles immer wieder erneuerte. Da hatte Noio begriffen, dass das Vergangene dahin war und dass das Bestehende ohne Pflege verdarb. Und noch etwas hatte sie begriffen: Dass die Harmuged falsche Priester waren, die ihr Zeit und Lebenskraft gestohlen hatten! Noio wurde richtig böse bei diesem Gedanken. Sie verabscheute die Harmuged nun mit der gleichen Inbrunst, mit der sie sie vorher verehrt hatte.
Fakun hatte mit gerunzelter Stirn dagesessen und Noio zugehört. - Auch er hatte eine Erinnerung in sich wach werden fühlen: Da war ein Lied gewesen, von dem er nicht hatte genug bekommen können, und dann ... Natürlich war Fakun Teris Befangenheit nicht entgangen, was seinen Zusammenbruch im Schnee anging, aber er hatte nicht geahnt, dass sie damit etwas zu tun gehabt haben könnte. Jetzt kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, Teris Lieder seien mehr als nur Gesang. Nachdenklich schaute er zu ihr hinüber. - Er würde sie danach fragen, wenn sie wieder gesund war.
Wie ein geblendeter Vogel, der gepeinigt und verzweifelt in seinem Käfig sitzt und Warnschreie ausstößt, die die Menschen für Gesang halten, so saß Teri jetzt auf ihrem Deckenlager und probierte leise die Wirkung der Kraan-Lieder aus. Doch jedes Singen erstarb schon im Ansatz. - Die Texte machten ihr keine Schwierigkeiten - das war es nicht. Es waren die Melodien und die sanft wechselnden Rhythmen, die sich ihrem Zugriff entzogen. - Was immer Teri auch versuchte, nie wollten sich Worte und Melodie zu einem Ganzen verweben lassen. Teri sang Lieder der Kraan, aber sie sang sie, wie ein Kind sie singen würde, und so waren es nicht die Lieder.
Teri wußte, dass sie selbst die Schuld an der Situation trug. - Sie hatte sich nicht mit dem Urtext begnügen wollen, den Aska ihr beigebracht hatte, sondern hatte neue Bedeutungen über die Melodie gelegt. Der Haß, den sie Noio hatte einpflanzen wollen, war unmittelbar auf sie zurückgeschlagen und nun saß sie, all ihrer Fähigkeiten entblößt, mit verbundenem Kopf im Bett und fühlte sich, als sei sie gestorben.
Dass sie mit den Liedern der Kraan keine Macht mehr ausüben konnte, war nicht so schlimm für sie. Sie hatte die Fähigkeit nur kurze Zeit gehabt und noch kürzere Zeit davon gewußt. - Der wirkliche Verlust bestand darin, dass die Welt nur noch aus toten Dingen bestand. Nichts war mehr zu spüren von den Ausstrahlungen von Holz oder Stein; es war gleichgültig, ob sie das Schaffell ihres Lagers berührte, oder ein Stück Stoff; alles fühlte sich gleich an. Alles war tot!
Es war ein unfaßbarer Verlust für Teri, in diese Welt gestürzt worden zu sein, in der die meisten Menschen ihr ganzes Leben verbringen. Alle Dinge, mit denen sie gut Freund gewesen war, mit denen sie `gesprochen' hatte, blieben nun stumm. - Es war Teri, als habe sie tausend Freunde gleichzeitig verloren, und ihre Hände glitten hilflos über die Felle der Schlafstatt, die sich für sie so leblos anfühlten, dass sie hätte weinen mögen.
Teri hatte ihre Fähigkeiten verloren. Sei es, dass der heimtückisch geworfene Stein die Schuld daran trug; sei es, dass ein geheimer Zauber der Kraan den frevlerischen Gebrauch des Liedes bestrafte, Teri war zu einer jungen Frau geworden,
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