Sturm ueber Thedra
Wänden noch eine Menge Regale, die über und über mit kleinen Töpfen zugestellt waren, aber keine Menschenseele war zu entdecken. Hastig drehte Fakun sich um und wollte wieder nach draußen stürzen, als er plötzlich in der Bewegung erstarrte. Einen Moment lang glaubte er, Teri sei ihm gefolgt, aber dann bemerkte er, dass die Frau, die er im Türrahmen nur als Schattenriss erkennen konnte, dunkle Haare hatte.
"Warum rennst du in mein Haus wie ein wilder Ziegenbock?" Die Fremde hatte die Hände in die Hüften gestützt und den Kopf ein wenig vorgereckt. "Weißt du nicht, was sich gehört?"
"Meine Frau kriegt ein Kind!" Fakun hatte keine Zeit für Entschuldigungen. "Sie liegt an der Straße! Das Kind kommt zu früh! Wir brauchen Hilfe!"
Schon bei Fakuns ersten Worten hatte die Fremde ihre aggressive Körperhaltung aufgegeben und war zielstrebig in den Raum getreten. "Wieviel zu früh?" Geschickt schlüpfte sie an Fakun vorbei. "Wann wäre die Zeit deiner Frau?"
"Im Herbst, in zwei Monaten etwa! Wir werden sie tragen müssen!" Fakun sah sich suchend um. "Wo ist dein Gefährte?"
"Ich habe keinen Gefährten." Das Mädchen nahm eilig einen Tiegel aus dem Regal. "Komm jetzt!"
Ehe Fakun sich's versah, war die Frau schon wieder an ihm vorbei und zur Tür hinaus. Schnell folgte er ihr, und gemeinsam liefen sie den Waldweg entlang zur Hauptstraße hin.
Teri, die echte Teri, kämpfte inzwischen verzweifelt gegen die fremde Stimme in ihr, die ihrem Körper befehlen wollte, das Kind vorzeitig auszutreiben. Mit aller Kraft nahm sie sich zusammen, aber ganz konnte sie es doch nicht verhindern, dass die Krämpfe sie packten und ihren Körper zu einer Marionette des Schmerzes machten. - Sie würde das Kind verlieren! Da war sich Teri ganz sicher. - Und wahrscheinlich würde auch sie selbst den heutigen Tag nicht überleben. Aber Teri wäre nicht Teri gewesen, wenn sie nicht um jeden Fingerbreit Boden gekämpft hätte, den der Schmerz ihr abringen wollte. Trotzdem mußte sie einsehen, dass sie langsam verlor!
Ein neues Gefühl machte sich bemerkbar, das Teri vorher in diesem Maße nicht gekannt hatte: Haß! - Wie konnte diese Stimme in ihr fordern, ihr Kind - Fakuns und ihr Kind - zu opfern? Wie hatte man ihr das antun können, sie so zu beeinflussen, dass sie sogar bereit war, das Leben ihres Kindes, das sie wollte, auf das sie sich freute, für das sie alles getan hätte, preiszugeben? Was für ein bösartiger, kranker Geist hatte diese Falle ersonnen, aus der es kein Entrinnen gab? Teri wurde es übel. - Übel vor Schmerzen, aber auch vor Abscheu. - Und sie war nicht bereit, die Dämonen, die Jamik auf sie gehetzt hatte, gewinnen zu lassen! Zitternd vor Schmerz und vor Anstrengung kämpfte Teri um das Leben ihres Kindes, und es reifte ein Entschluß in ihr: Wenn sie je Gelegenheit dazu haben sollte, würde sie Rechenschaft fordern, von dem Mann, der so leichtfertig mit Leben spielte; und sollte ihr Kind das Leben verlieren, war sie entschlossen, an Jamik Gleiches mit Gleichem zu vergelten!
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über Teri. Schwach streckte sie die Hand nach Hund aus. - Der liebe Kerl! - Wahrscheinlich wollte er ihr das Gesicht lecken! Wieviel Angst er um sie haben mußte! Doch mitten in der Bewegung hielt sie inne. - Es war gar nicht Hund, der sich über sie beugte. Durch den Tränenschleier hindurch erkannte Teri die Umrisse einer jungen Frau.
"Ich bin Ena." Die Frau kniete Teri nieder und legte sacht ihre Hand auf Teris Leib. "Kannst du es noch ein wenig aushalten?"
"Nicht mehr lange!" Teri bemühte sich, verständlich zu sprechen. "Es wird stärker!"
"Hier nimm das." Ena hielt Teri einen offenen Tiegel hin. "Das wird dir helfen!" Nun tauchte auch Fakun im Hintergrund auf.
Ratlos schaute Teri auf den Tiegel, der vor ihrem Gesicht schwebte. Eine bräunlich-undurchsichtige Paste war darin, die streng roch. "Nimm nur ruhig die Finger!", ermunterte Ena sie. Teri gehorchte. Es war Honig! - Honig mit einem seltsamen Beigeschmack - aber gut! Teri tauchte den Finger noch einmal ein.
"Nimm ruhig!" Ena fühlte an Teris Hals nach dem Puls. "Warum rast dein Herz so? - Hast du solche Angst?"
"Nein!" Teri schluckte den Honig. "Das passiert - mir manchmal." Was für einen Sinn sollte es haben, dieser Frau zu erklären, was schnell sein bedeutete? Sie würde es genauso wenig verstehen, wie Teri selbst. - Außerdem wurde Teri jetzt müde, irgendwie war ihr sowieso der Sinn für Zusammenhänge abhanden gekommen.
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