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Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
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schlug er seine Zuhörer in den Bann. Er ließ sie Lachen und Weinen - hob sie in das strahlende Licht der Heldensagen, und stieß sie tief in die dunklen Schluchten der Angst. Teri hatte ihn noch nie so gelöst und zufrieden erlebt. Trotzdem konnte sie die Geschichten, die auch für sie neu waren, nicht lange genießen. Die Kirschseele bewirkte, dass sich alsbald ein duseliges Gefühl in ihrem Kopf breitmachte und die Müdigkeit sie immer stärker bedrängte. Teri wollte aber nicht einschlafen. Sie wollte wach bleiben und schöne Geschichten hören, wie die anderen. Also lehnte sie sich bequem zurück und schloß die Augen. - Ja! - So ließ es sich gut zuhören!

    Am nächsten Morgen erwachte Teri unter einem Blätterhaufen. Nach Aganez' Anweisung hatten die Holzfäller sie in ihren Schlafsack gesteckt und sie auf die Felldecke unter das Schutzdach gelegt. Als Kälteschutz hatten sie dann noch altes Laub über das Ganze gehäuft, denn "Betrunkene verlieren viel Wärme!", wie Aganez süffisant bemerkte.
    Teri war nicht ärgerlich. Sie hatte gut geschlafen und fühlte sich hervorragend. Nach einem guten Frühstück bedankten sie und Aganez sich bei den Holzfällern für die freundliche Aufnahme und gingen auf die Straße zurück. Die Bergstadt Stein war noch weit, und Aganez trieb zur Eile an.

    In Stein endlich fiel der Schleier, den der Magier über seine wahre Identität gebreitet hatte. Hier, in der letzten Bastion Estadors vor dem Großen Gebirge hielten die Zünfte ihre Jahresfeste im Frühling ab, und am Tag der Ankunft Aganez' und Teris sollten die neuen Lehrlinge der Tischler gewählt werden.
    Natürlich hielten die Zunftfeste der Bergstadt keinen Vergleich mit den pompösen Veranstaltungen aus, die Teri aus Thedra kannte. Zwar gab man sich Mühe, aber alles in allem war es doch eher eine recht jämmerliche Vorstellung, fand Teri. Sehnsüchtig dachte sie an die Zunftfeste von Thedra zurück, die die ganze Stadt auf die Beine brachten. - Besonders natürlich das Fest der Fliegenden Schiffe! Teri fragte sich, was diese Bauerntölpel wohl dazu sagen würden, wenn über den Bergen, zwischen denen die Stadt eingekesselt war, plötzlich das unglaubliche, gewaltige Licht von Aganez' Feuer aufleuchtete. Bestimmt würden sie denken, die Welt ginge unter und würden schnell nach Hause laufen, um ihr Erspartes zusammenzuraffen.
    Irgendwie ließ der Gedanke an das Fest der Fliegenden Schiffe Teri nicht los. Egal was sie hier sah, immer mußte sie es, wie unter Zwang, mit dem vergleichen, was sie aus Thedra kannte. - Und die Bergstadt Stein schnitt schlecht dabei ab. - Alles war hier irgendwie klein und billig: Die Musikanten verstanden den Takt nicht zu halten! - Die Speisen waren schlecht gewürzt und mußten selbst bezahlt werden! - Die Trachten der Leute waren ärmlich und plump! - Sogar die Bilder der alten Zunftmeister, welche die Häuserwände schmückten, waren ...
    - Und da erkannte Teri urplötzlich, mit wem sie nun schon so lange auf der Wanderschaft war! Die Bilder der Zunftmeister hatten etwas in ihr ausgelöst. - Waren hier in Stein auf den Bildttafeln nur kunstlos hingeschmierte Portraits zu sehen, die höchstwahrscheinlich kaum Ähnlichkeit mit den Meistern vergangener Zeiten aufwiesen, so hatte man in Thedra Bilder, die Gesichtszüge und Kleidung bis in die letzte Einzelheit genauestens wiedergaben. Jetzt endlich fiel es Teri ein, warum ihr ihr Begleiter so bekannt vorkam - und war nicht auch er Magier? - Sie hatte ihn auf einem der Zunftbilder gesehen - und zwar auf dem ältesten von allen. Nun wußte sie auch mit dem Namen Zenaga etwas anzufangen, denn er war nichts anderes als eine Umkehrung des Namens des Urvaters aller thedranischen Waffenmacher und Magischen Mediziner!
    Aufgeregt bahnte sich Teri einen Weg durch die Menge und schaute sich suchend um. Schließlich entdeckte sie ihren Begleiter vor dem Gasthaus, in dem sie sich einquartiert hatten. Er saß allein auf einer Mauer und prüfte gerade ein langes, dünnes Seil, welches er wohl soeben erstanden hatte.
    Teri setzte sich neben ihn und sah ihn sich nochmals genau an. - Kein Zweifel war möglich! "Du bist Aganez!", sprach sie den Magier an. "Ich habe dein Zunftbild gesehen."
    "Natürlich bin ich Aganez!" Der Alte sah noch nicht einmal von seiner Beschäftigung auf. "Aber du", jetzt hob er doch den Kopf und sah Teri mit seinen wasserhellen Augen zwingend an, "du wirst deinen Mund darüber halten! Für dich und alle anderen bin ich Zenaga, ein

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