Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
Vom Netzwerk:
Mensch verrichten mochte; kurz: Eine Sklavenarbeit!
    Aber nicht nur Sklaven wurden im Lager beschäftigt. Die Obrigkeit der Bergstadt Stein hatte sich eine Einnahmequelle geschaffen, indem sie regelmäßig Strafgefangene für die Zeit der Strafverbüßung an das Gerberlager verkaufte. In ihrer Weisheit hatten die Stadtoberen nämlich erkannt, dass Gefangene, die im Kerker schmachten, nur unnötig Geld kosten. So wurden denn alle Verurteilten - außer denen, die ein todeswürdiges Verbrechen begangen hatten natürlich - so schnell wie möglich in das Lager geschafft, auf dass die Stadtkasse überquelle.
    Leider brachte es diese säuberliche Trennung von städtischer und privater Exekutive mit sich, dass die eine Hand nicht so genau wußte, was die andere tat. - So konnte es durchaus geschehen, dass eine zweijährige Freiheitsstrafe von den Wärtern des Lagers kurzerhand in Lebenslänglich umgewandelt wurde, denn die Arbeit der Gefangenen brachte dem Lager bares Geld. So mancher Vierzehnjährige, den man bei einem Diebstahl erwischt und hier eingeliefert hatte, war bis an das Ende seiner Tage ein rechtloser Fronarbeiter geblieben, denn noch nie hatte es ein Richter gewagt, eine Kontrolle des Lagers anzuordnen. Besorgte Verwandte erfuhren nach Ablauf der Strafzeit bei Nachfrage nur, der Betreffende sei - leider, leider - einer ansteckenden Krankheit erlegen und eine Herausgabe des Leichnams sei - leider, leider - keinesfalls möglich.
    So hatte das Lager der Gerber in der Gemarkung Wolfen bei den Bürgern der Gegend einen ganz eigenen Namen erhalten. - Es war für sie `Das Lager ohne Wiederkehr'.

    Das Lager war auf drei Seiten von felsigen Steilhängen umgeben. Zudem hatten die Wärter vergangener Zeiten von ihren Gefangenen alle Vorsprünge im Fels beseitigen lassen, so dass das Tal der Gerber bis in mehrere Mannslängen Höhe von einer vollständig glatten Wand umgeben war, die einen Ausbruchsversuch auf diesem Weg von vornherein ausschloß.
    Das Tal selbst war langgestreckt, übersichtlich und in seiner ganzen Länge von einem Wasserlauf durchzogen, an dem die seitlich offenen Hallen standen, in denen die Felle zu Leder verarbeitet wurden. Fest gebaute Lagerschuppen am Taleingang dienten zur Aufbewahrung der Rohware und des fertigen Leders und bildeten einen ins Auge fallenden Gegensatz zu den alten, windschiefen Unterkünften der Gefangenen.
    Vor dem Taleingang lag die Wachstadt Wolfen. Wolfen selbst war eine Wegstunde vom Lager entfernt und führte den Titel `Lederstadt' vor ihrem Ortsnamen, denn Wolfener Leder war in ganz Estador ein begehrter Artikel. Der Ortsteil, der dem Tal der Gerber am nächsten lag, hatte jedoch eine ganz eigene Tradition. Es war die Stadt der Wächter, die sich deswegen auch den Ehrentitel `Wachstadt' vor die Ortsbezeichnung ihres Dörfchens gesetzt hatten. In der Wachstadt Wolfen lebten die Familien der Lagerwachen und es war ein trostloser Ort, denn Wächter wird man nur, wenn man gern auf andere Menschen aufpaßt, und in diesem Dorf der Wächter wurden jeder Mensch und jedes Ding hervorragend überwacht.

    Teri und ihre Bewacher brauchten mehr als sechs Stunden, um das Gerberlager zu erreichen. Die Kette, die man um Teris Knöchel geschmiedet hatte, war wirklich jämmerlich kurz, und obwohl ihre Begleiter recht rücksichtsvoll mit ihr umgingen und sie nicht unnötig vorwärts stießen, stolperte Teri wegen des ungewöhnlich eingeschränkten Schrittmaßes mehr als einmal, und schon bald waren ihre Hände, mit denen sie die Stürze abfing, genauso zerschrammt wie ihre Knie.
    Es war für Teri genauso schlimm, wie für jeden anderen Menschen, ihre Freiheit verloren zu haben. Das Gefühl, plötzlich in allen Belangen von der Gnade anderer abhängig zu sein, nahm ihre Gedanken vollständig gefangen und nahm ihr die Klarheit des Denkens. Ob sie nun etwas trinken, oder sich kurz einmal hinsetzen wollte, um sich die wundgescheuerten Knöchel zu reiben, immer hatte sie um Erlaubnis zu fragen, die durchaus nicht immer erteilt wurde. Nichts konnte sie mehr selbst entscheiden, und sogar ihre Notdurft mußte sie im Beisein der Wächter verrichten, die sich allerdings ihr gegenüber wirklich recht ordentlich verhielten, wie Teri zugeben mußte. Sie erzählten ihr sogar ohne jede Schadenfreude, sondern eher mit dem Unterton der Besorgnis, dass sie schon viele Menschen in das Lager gebracht hatten, aber nur wenige hatten zurückkehren sehen. Die Heimgekehrten waren ausschließlich Angehörige

Weitere Kostenlose Bücher