Sturm und Drang
Dafür hat sie aber eine Schwäche für Ohrringe, und in jedem ihrer Ohrläppchen baumeln mindestens acht silberne Reifen. Sie trägt ein kurzes, geschwungenes Schwert an der Hüfte und zielt mit ihrer kleinen Armbrust auf mein Herz.
»Weißt du nicht, dass es illegal ist, innerhalb der Stadt eine Armbrust zu tragen?«
»Bisher hat mich trotzdem noch nie jemand deswegen verhaftet«, erklärt Sarin.
Sie schaut erst mich an, dann Makri. Sarins Augen wirken so leblos, dass man eine Gänsehaut bekommt.
»Ich suche etwas, das mir gehört«, erklärt sie. »Es war nicht mehr an seinem Ort. Du aber bist da gewesen, glaube ich.« Sie streckt die Hand aus. »Her mit dem Ozeanischen Orkan!«
Die Unverfrorenheit dieser Frau beeindruckt mich gegen meinen Willen. Sie besitzt die Tollkühnheit, in mein Büro einzudringen und von mir zu verlangen, ein gestohlenes Artefakt herauszurücken, als hätte sie alles Recht der Welt dazu.
»Warum sollte ich es dir geben?«
»Weil ich mit einer Armbrust auf dich ziele.«
»Und? Soll ich dich vielleicht mit einem Bann rösten?«
»Das kannst du nicht«, entgegnet Sarin. »Du verfügst nicht über ausreichend Macht dazu.« Da hat sie Recht. »Gib mir den Ozeanischen Orkan.«
»Das würde ich gern tun, Sarin, aber soweit ich weiß, gehört er dir nicht.«
»Ich habe eine Abmachung mit Kapitän Ahabex geschlossen.«
»Wie schade, dass jemand anders dir zuvorgekommen ist.«
»Das ist allerdings schade. Rück das Artefakt heraus, oder ich bringe dich um!«
Plötzlich kommt Leben in Makri. Sie schleudert ihre Axt so schnell auf Sarin, dass die wirbelnde Schneide ihr die Armbrust aus der Hand schlägt, bevor sie abdrücken kann. Sarin flucht und reißt ihr Schwert heraus. Doch dann hustet sie, hält sich den Kopf mit den Händen und sinkt langsam auf die Knie. Der Schweiß strömt ihr von der Stirn, und ihr Schwert poltert zu Boden.
»O nein!« Makri ist frustriert. Sarin sackt langsam auf dem Boden zusammen. Sie atmet stoßweise.
Ich sehe Makri an.
»Was ist hier eigentlich los, verdammt? Hängt da draußen ein Schild, auf dem steht: ›Kranke von Turai, versammelt euch in Thraxas’ Büro, sobald ihr euch mit dem Fieber angesteckt habt‹?«
»Ich werde sie trotzdem umbringen«, erklärt Makri.
»Meinen Segen hast du. Ich will verflucht sein, wenn ich noch einen Patienten hier unterbringe.«
Wir hören Schritte auf der Treppe, und im nächsten Moment schlendert Harrius durch die offene Außentür. Der Anblick von Sarin beunruhigt ihn sichtlich.
»Hat der Vizekonsul Euch nicht befohlen, strikte Zurückhaltung zu wahren? Warum steht die Tür sperrangelweit offen? Und warum liegt hier eine weitere Fieberkranke herum? Schafft sie sofort von der Tür weg!«
Ich starre Harrius an. Nur weil Zitzerius mich herumkommandieren kann, lasse ich mich von seinem Handlanger noch lange nicht herumschubsen.
»Was wollt Ihr?«
»Ist das …?«
»Sarin die Gnadenlose? Ja.«
Harrius runzelt die Stirn. Sarin hat die Regierung einmal um zehntausend Gurans erleichtert. Das hat man ihr nicht vergessen.
»Warum habt Ihr sie hereingelassen?«
»Ich habe sie nicht hereingelassen! Sie hat meinen Schließbann überwunden.«
»Thraxas’ Schließbann ist bloßer Hokuspokus«, kommt Makri mir zu Hilfe. »Jeder kann ihn überwinden.«
»Was wollte Sarin hier?«, will Harrius wissen.
»Wer weiß? Im Moment scheint so ziemlich jeder Lust zu haben, mich zu besuchen.«
Harrius betrachtet uns angewidert.
»Hat der Vizekonsul Euch nicht darüber informiert, dass wir eine Verschwörung vermuten, deren Ziel die Ermordung von Lisutaris und der Verrat der Stadt ist?«
Ich sehe Makri an.
»Das scheint mir entgangen zu sein. Hat er es uns erzählt, hm?«
Makri zuckt gleichmütig mit ihren nackten Schultern.
»Es gibt so viele Verschwörungen. Da verliert man schnell mal den Überblick.«
»Ihr müsst unbedingt jederzeit Lisutaris’ Sicherheit gewährleisten!«, bläst sich Harrius auf.
Ich bücke mich und packe Sarin am Kragen.
»Was habt Ihr vor?«, unterbricht Harrius mich.
»Ich werfe sie raus!«, erkläre ich.
»Aber ich will sie doch umbringen!«, protestiert Makri.
»Sie wird ohnehin auf der Straße verrecken«, beruhige ich sie.
Harrius verstellt mir den Weg.
»Habt Ihr denn gar kein Verständnis dafür, was es bedeutet, Lisutaris’ Sicherheit zu gewährleisten? Diese Frau hat gehört, wie wir über die Herrin des Himmels geredet haben. Niemand, der weiß, dass sie krank in dieser Taverne
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