Sturm und Drang
Bevor er geht, schnappt er sich noch eine halb volle Weinflasche. Ich vertilge den Rehbraten auf meinem Teller und lade mir dann den Rest von der silbernen Schale auf. Dann klingle ich nach der Dienerin.
»Gibt es noch Rehbraten?«
Sie erklärt mir höflich, er wäre leider alle. Ich betrachte sie argwöhnisch.
»Du hast doch gehört, dass Astral dir aufgetragen hat, mir alles zu bringen, was ich will?«
»Tut mir Leid, Herr, aber das war wirklich alles, was wir hatten.«
Sie klingt glaubwürdig. Zweifellos gehen die Diener sparsam mit den Vorräten ihres Gebieters um und verschwenden ihre Nahrungsmittel lieber nicht an einen eher stattlichen Detektiv, wenn sie über den Winter kommen wollen.
»Sind zufällig noch ein paar dieser schmackhaften Wurzeln da?«
»Bedauerlicherweise haben wir die letzten gestern verbraucht, Herr.«
Ich sehe ihr scharf in die Augen, aber sie hält meinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Schließlich muss ich mich mit Hefegebäck und einer kleinen Flasche Wein zufrieden geben. Laut der Dienerin, einer, wie ich sagen muss, eher unfreundlichen Frau, lagert Astral zurzeit auch kein Bier in seinem Keller.
Schließlich lässt sie mich mit meinem Wein allein. Ich nehme ein Zauberbuch aus dem Regal und blättere es durch. Es ist ein Standardwerk, nichts sehr Fortgeschrittenes, aber dennoch sind viele Zaubersprüche darin, von denen ich noch nie gehört habe. Als ich Zauberlehrling war, haben wir dieses Buch in unserer Klasse gelesen, aber ich schwöre, dass ich von diesen Zauberformeln die meisten nie gesehen habe. Das zeigt nur, wie unaufmerksam ich war.
Astral betritt hastig wieder den Raum. Ich spiele mit dem Gedanken, ihn von Mann zu Mann zu fragen, ob er tatsächlich kein Bier im Keller hat, aber er scheint aufgeregt zu sein und unterbricht mich mit einer ungeduldigen Handbewegung.
»Du hast gesagt, diese Gegenstände gehörten Sarin?«
»Ja. «
»Und sie ist ein Killer?«
»Ja. «
»Dann solltest du besser umgehend zur Rächenden Axt zurückkehren«, erklärt Astral.
»Wieso?«
»Weil sie im Moment gerade dorthin unterwegs ist.«
»Sicher?«
»Ziemlich sicher.«
Ich stehe auf, stürze den Wein hinunter und werfe mir den Umhang über, alles mit blitzartiger Geschwindigkeit.
»Wo bekomme ich hier eine Droschke?«
»Nimm meine Kutsche«, schlägt Astral vor.
Sein Angebot überrascht mich.
»Du hast eine Kutsche?«
»Allen Zauberern wird in Kriegszeiten eine zur Verfügung gestellt«, erklärt Astral.
Ich bin beeindruckt. Er ist wirklich auf dem aufsteigenden Ast, sozusagen.
Minuten später sitze ich auf dem Bock und rattere durch die engen Straßen von Parish nach ZwölfSeen. Ich biege nach Norden in den Mond-und-Sterne-Boulevard ein, und die Fußgänger bringen sich hastig in Sicherheit, als ich an ihnen vorbeifege.
»Aus dem Weg, ihr Hunde! «, schreie ich, als ein Privatlehrer mit drei Kindern nicht schnell genug die Straße überquert. Ich verfehle sie nur um Haaresbreite, drehe mich jedoch nicht einmal nach ihnen um. Die Oberhexenmeisterin der turanischen Zaubererinnung liegt krank in meinem Bett, und eine der gefährlichsten Mörderinnen, die Turai jemals heimgesucht haben, ist unterwegs in die Rächende Axt.
12. KAPITEL
Ich schaffe es in Rekordzeit zur Rächenden Axt, halte die Kutsche vor der Tür an und springe vom Bock wie ein hungriger Drache, der sich auf ein fettes Schaf stürzt. Die erste Person, auf die ich stoße, ist Makri. Sie balanciert ein Tablett mit Bierkrügen in der Hand.
»Sarin ist hier!«, rufe ich ihr zu und stürme die Treppe hoch.
Makri ist mir dicht auf den Fersen, als ich in mein Büro platze, obwohl sie vorher noch einen kleinen Abstecher in ihre Kammer gemacht hat, um sich die Axt zu schnappen. Ich habe mein Schwert bereits gezückt. Die Außentür ist sperrangelweit offen. Sarin die Gnadenlose steht neben der Couch und betrachtet die schlummernde Marihana.
»Hält dein Schließbann denn gar keinen ab?«, zischt Makri und hebt die Axt. Ich stelle mich zwischen die beiden.
»Makri, bevor du sie umbringst, lass mich sie erst fragen, warum sie hergekommen ist.«
Sarin betrachtet uns mit ihren eisigen Augen.
»Niemand bringt mich um.«
Sarin ist eine große Frau mit dunklem, kurz geschorenem Haar, was in Turai sehr ungewöhnlich ist. Im Gegensatz zu fast allen Frauen der Stadt, angefangen von den Marktweibern bis hin zu den Senatorengattinnen, trägt sie keinerlei Make-up. Ihr Männerwams ist schlicht und schmucklos.
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