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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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von den Wänden widerhallte.
    »Was ist das?« Vrenn war zurückgeblieben, hockte immer noch auf dem Boden. Er musste schreien, um sich verständlich zu machen.
    »Ich weiß es nicht, eine Art Signal wahrscheinlich.« Gerits Blick glitt an den Wachen vorbei über das Tor hinweg bis zur Straße, die sich den Berg hinaufwand. Staub wallte in einiger Entfernung auf. Jemand kam.
    Unten wurden Türen aufgerissen. Nachtschatten, manche halbnackt, andere bereits vollständig angezogen, strömten auf den Hof. Zwei liefen zum Tor und zogen die schweren Riegel, mit denen es gesichert wurde, zurück. Dann stemmten sie sich gegen das Drehkreuz der schweren Seilwinde. Ein dritter half ihnen. Stück für Stück wurde das Tor geöffnet.
    »Kommen Soldaten, um uns zu retten?«, rief Vrenn.
    In seiner Stimme klang die gleiche Hoffnung durch, die auch Gerit gehegt hatte, als er die Trommeln hörte. Doch für Soldaten hätten die Nachtschatten wohl kaum die Tore geöffnet.
    »Nein«, rief er zurück. »Keine Soldaten.«
    Immer weiter wurden die Trommeln geschlagen, fanden langsam ihren eigenen Rhythmus, der von niemandem vorgegeben wurde. Die Nachtschatten, die auf dem Hof standen, stampften mit nackten Füßen und schweren Stiefeln auf. Sie wirbelten Asche hoch in die Luft. Rauch aus glimmenden Leichenresten zog träge zum Tor hinaus.
    Gerit kniff die Augen zusammen. Die Staubwolke kam stetig näher. Er erkannte Reiter darin. Es war eine kleine Gruppe, ungefähr ein Dutzend, schätzte er. Sie trugen weder Fahnen noch Standarten, hielten keine Formation ein. Die Staubschicht, die auf ihnen lag, verwandelte ihre Kleidung in graue Uniformen.
    »Was ist los, Minherr?«
    Gerit ignorierte Vrenns Frage. Die Reiter erreichten das Tor. Im Lärm der Trommeln bewegten sie sich lautlos, schienen beinahe über das Pflaster zu schweben. Gerit sah, dass sie weit fallende Umhänge und Kapuzen trugen. Waffen klirrten, als die Nachtschatten von ihren Pferden sprangen und die, die anscheinend auf sie gewartet hatten, begrüßten.
    Die Trommelschläge wurden unregelmäßiger, weniger. Nachtschatten sahen sich um, als würden sie etwas vermissen, das sie erwartet hatten. Einer der Reiter deutete auf die Landschaft jenseits des Tors und breitete die Arme aus, als wolle er sagen: Was kann man tun?
    Mit dem Blick folgte Gerit der Geste des Reiters. Eine Weile lang sah er nichts außer der langsam verwehenden Staubwolke.
    »Was ist denn los?«, fragte Vrenn erneut. Er sprach leise, ängstlich. Die Trommelschläge waren fast verstummt.
    »Jemand kommt«, sagte Gerit, den Blick starr auf die einzelne Gestalt gerichtet, die langsam die Straße heraufkam. Sie ging zu Fuß. Ein weißes Pferd folgte ihr mit herabhängenden Zügeln.
    »Wer?«
    Gerit schüttelte nur den Kopf. Die Gestalt näherte sich dem Tor. Es war ein Mann, ein Nachtschatten, das erkannte er an den geschmeidigen, fließenden Bewegungen, auch wenn der Mann ansonsten menschlich wirkte. Er hatte dichtes graues Haar und ein kantiges, schmales Gesicht. Seine Haut war braun gebrannt wie die eines Bauern, der sein Leben lang auf den Feldern verbracht hatte. Doch keinen Augenblick lang hätte Gerit geglaubt, einen Bauern vor sich zu haben. Sein Rücken war nicht gekrümmt, sein Blick nicht trüb, sein Gang war aufrecht und stolz wie der eines Fürsten. Es war beinahe vermessen, so zu gehen.
    Unten begannen die Nachtschatten wieder zu trommeln. »Korvellan!«, rief einer der Wachen neben dem Tor. »Korvellan!«
    Andere nahmen den Ruf auf. Er schwoll zu einem Chor an, der den Rhythmus der Trommeln aufnahm.
    Korvellan, dachte Gerit. Etwa der Korvellan?
    Der Mann blieb vor dem Tor stehen. Er hob den Kopf und ließ den Blick über die Festung gleiten. Eine ganze Weile blieb er so stehen, reglos, die Hände tief in die Taschen seiner Hose gesteckt. Er schien die Rufe nicht zu bemerken.
    »Wer ist das?«, fragte Vrenn. Er hatte sich nun doch bis zum Rand des Dachs vorgewagt.
    »Mortamer Korvellan«, antwortete Gerit, als wäre damit alles gesagt, aber der Junge runzelte nur die Stirn. In der Backstube lernte man wohl nicht viel über Militärgeschichte.
    »Einer der größten Generäle des Kriegs«, fuhr Gerit ungeduldig fort. »Durch seine Siege konnte der Fürst von Westfall sein Territorium verdreifachen.«
    »Westfall? Dann wird er uns retten?« Vrenns Augen leuchteten voller Hoffnung, aber Gerit schüttelte den Kopf. »Nein, er verschwand nach dem Krieg. Alle dachten, er wäre irgendwelchen Straßenräubern

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