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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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zum Opfer gefallen, aber das war wohl falsch.«
    »Oh.« Vrenn verzog das Gesicht. »Und was macht er jetzt hier?«
    Gerit betrachtete den Mann vor dem Tor. »Seinen Sieg feiern«, sagte er dann so leise, dass er nicht wusste, ob Vrenn ihn überhaupt verstand. Doch der Junge fragte nicht nach. Vielleicht hatte er ihn verstanden, vielleicht begriff er auch selbst, was da unten geschah.
    Korvellan nahm die Hände aus den Taschen, ergriff die Zügel seines Pferdes und führte es durch das Tor. Dann hob er die Arme. Der Lärm verstummte.
    »Ihr habt Ehre über euer Volk gebracht«, sagte er. Seine Stimme hallte von den Mauern und Dächern wider. »Dieser Sieg ist euer Sieg. Diese Festung ist eure Festung.« Er lächelte. »Dieses Land ist euer Land.«
    Die Nachtschatten jubelten. »Korvellan! Korvellan!«, riefen sie. Einer von ihnen, Gerit nannte ihn Kralle, trat vor.
    »Wo ist unser König?«, rief er über den Lärm hinweg. »Wann wird er eintreffen, damit wir ihm das Land zu Füßen legen können?«
    Die Rufe verklangen. Jeder schien die Antwort auf diese Fragen hören zu wollen. Gerit beugte sich so weit vor, wie er es wagte, um kein Wort zu verpassen.
    »Sei vorsichtig«, flüsterte Vrenn neben ihm. »Sie sehen dich noch.«
    Korvellan steckte die Hände wieder in die Taschen. »Er ist kein König«, sagte er. »Beleidige ihn nicht mit den Titeln eines Menschen. Sein Blut ist älter als das von Königen, Fürsten und Generälen. Er …«
    »… ist bereits hier.«
    Gerit zuckte zusammen. Neben ihm begann Vrenn beim Klang der Stimme zu wimmern. Sie war tief und rau und wütend. Gerit hatte einst einen gefangenen Tiger auf einem Jahrmarkt in Braekor gesehen, der sich beim Anblick eines jeden Menschen gegen die Gitterstäbe geworfen hatte, als suche er Rache für sein Schicksal. Hätte die Bestie eine Stimme gehabt, sie hätte geklungen wie die des Reiters, der nun seine Kapuze abnahm.
    Die Nachtschatten, die ahnungslos neben ihm gestanden hatten, wichen zurück, ebenso erschrocken wie Gerit.
    »Ich bin kein König, ich bin Schwarzklaue«, sagte der Reiter und riss sich den Umhang vom Leib. Sein Körper war bedeckt mit schwarzem, beinahe bläulich schimmerndem Fell. Seine Hände waren groß wie die Pranken eines Bären, sein Kopf breit mit Eckzähnen, die fast bis zum Kinn ragten. Er war größer als die anderen Nachtschatten und trug weder Kleidung noch Waffen.
    »Ich bin mehr als ein König.« Er ging auf Kralle zu. »Siehst du das denn nicht?«, fragte er.
    Gerit sah es. Neben ihm wirkten die anderen wie schlechte Kopien eines perfekten Gemäldes. Er war, wie sie hätten sein sollen oder vielleicht einmal gewesen waren, damals, als Nachtschatten und Vergangene um die Herrschaft über die Welt gekämpft hatten.
    Kralle sank auf die Knie. »Ich …«, begann er mit zitternder Stimme, aber ein Tritt ließ ihn verstummen.
    »Steh auf. Wir knien vor niemandem.«
    Hastig stand Kralle wieder auf. Er schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann jedoch. Schwarzklaue wandte sich ohne ein weiteres Wort von ihm ab.
    »Ich bin hierhergekommen in der Kleidung eines Menschen«, sagte er, »nicht aus Feigheit, sondern weil jemand, dem ich traue, es für weise hielt.«
    Schwarzklaue sah Korvellan kurz an.
    »Er hatte Recht. Ihre Armeen sind stark, und ich wäre vielleicht nicht lebend hier angekommen, hätte ich mich zu früh verraten. Aber bei den Vorfahren, wie gern hätte ich ihr Blut auf meiner Zunge geschmeckt, ihr Fleisch zwischen meinen Zähnen zerrissen.« Sein Blick kehrte zu Korvellan zurück. »Aber jemand glaubte, diese Freude sei weniger wert als mein Leben.«
    Korvellan lachte. »Und war das so falsch, mein Freund?«
    »Nein, aber eines Tages wird es falsch sein.« Schwarzklaue zog die Lefzen hoch. Gerit war sich nicht sicher, ob das als Lächeln oder Drohung gemeint war. Die anderen Nachtschatten lachten, verhalten und vorsichtig. Nur Korvellan schien keine Angst vor Schwarzklaue zu haben.
    »Bis dahin werde ich darauf bestehen, dein Leben zu schützen«, sagte er.
    »Und du wirst uns Siege bringen so wie diesen.« Schwarzklaue hob den Kopf und atmete tief durch. Seine Stimme wurde leiser. »Wir haben lange genug gewartet. Die Zeit ist reif. Alles verändert sich.«
    Er legte Kralle die Hand auf die Schulter. »Spürst du, wie sich alles verändert?«
    »Ja.« Es klang nicht wie eine Lüge. Auch die anderen Nachtschatten nickten.
    Schwarzklaue drehte sich um. »Aber bevor wir an neue Siege denken, müssen wir den alten

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