Sturm
General, niemand sonst. Wenn du das noch mal machst, reiße ich dir die Zunge raus und geb sie dir zu essen.«
Er rieb Gerits Gesicht tiefer ins Stroh. »Hast du das verstanden?«
»Ja.« Gerits Mund war voller Stroh. »Ja«, wiederholte er undeutlich.
Horon ließ ihn los und trat ihm in den Rücken. Ein Pferd wieherte laut. »Umbringen sollte ich dich, du kleine Ratte.« Er stapfte durch das Stroh. »Umbringen.«
Seidenfell hielt ihn auf. »Muss er nicht noch was sagen?«
»Hätte ich beinahe vergessen.« Horon spuckte aus. »Los, Ratte, sag es!«
Gerit hob den Kopf nur so weit, dass er das Stroh ausspucken konnte. »Ich danke für die Belehrung.« Jedes Wort schmeckte bitter.
Er hörte, wie Seidenfell und Horon den Stall verließen, und setzte sich auf. Tränen liefen über seine Wangen. Er presste die Hände vor den Mund, hatte Angst, dass man sein Schluchzen draußen hören würde.
Ich muss mit Korvellan reden, dachte er. Ich halte das nicht mehr aus.
Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augen. Tief atmete er durch. Dann stand er auf und begann die Pferde zu striegeln.
Das Abendmahl fand nicht im Festsaal statt, sondern im Audienzzimmer. Korvellan hatte den Dienern dies beinahe im letzten Moment mitgeteilt. Gerit hielt das für eine kluge Entscheidung. Die Gäste wussten wahrscheinlich von dem Massaker im Festsaal. Man musste sie nicht unnötig daran erinnern. Er war ebenfalls froh darüber. Seit dem Überfall hatte er den Saal nicht mehr betreten. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. Die Diener hatten die Tische wieder in das Audienzzimmer getragen und die Teppiche an die Wände gehängt. Die Gäste saßen an einem langen Tisch. Vor ihnen standen Platten voller Lammfleisch. Lachse lagen auf ihren Tellern, aber niemand aß. Sie alle hielten den Kopf gesenkt, wagten es wohl nicht, Korvellan anzusehen, der in seiner Nachtschattengestalt am Kopfende saß. Sein Fell war grau und dicht, seine Augen braun wie Torf. Es war erst das zweite Mal, dass Gerit ihn in dieser Gestalt sah. Korvellan verwandelte sich fast nie, so als wolle er den Unterschied zwischen sich und Schwarzklaue betonen. Gerit und die anderen Diener standen hinter ihm. Man hatte ihnen die Haare mit Ziegenfett zurückgekämmt und ihnen die alten Dieneruniformen Somerstorms gegeben. Sie hielten Karaffen voller Wein in den Händen, den niemand trinken wollte.
Es war still.
Gerit fiel es schwer, die Augen offen zu halten. Die Weinkaraffe drückte seine Arme nach unten, die Wärme des Kamins lullte ihn ein. Er fragte sich, weshalb Schwarzklaue nicht neben Korvellan saß. Hatte Korvellan vielleicht Angst, dass er nicht das Fleisch auf den Platten, sondern das auf den Stühlen fressen würde? Gerit hätte bei dem Gedanken beinahe laut gelacht. Er presste die Lippen zusammen. Seidenfell warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Warum«, sagte Korvellan so unerwartet, dass zwei seiner Gäste zusammenzuckten. Er trank einen Schluck Wein. Gerit wollte seinen Kelch nachfüllen, aber Horon kam ihm zuvor.
»Warum«, wiederholte Korvellan, »das fragt ihr euch doch. Warum sind die Nachtschatten nach Somerstorm gekommen? Wieso ausgerechnet zu euch?«
»Weil es hier Gold gibt«, sagte Odju, ohne den Kopf zu heben.
»Das ist wohl wahr. Einen ganzen Berg voll Gold.« Korvellan drehte den Kelch zwischen seinen Klauen. »Gold, das der Fürst von Somerstorm verprasst hat, während sein Volk Dreck frisst und auf Steinen schläft. Ist es das Gold, von dem Ihr sprecht, Odju?«
Der alte Mann sah zum ersten Mal auf, doch sein Blick richtete sich nicht auf den Nachtschatten am Kopfende des Tischs, sondern auf Gerit. »Es ist das Gold des Fürsten«, sagte er, »und er kann damit umgehen, wie es ihm beliebt.«
Gerit trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Horon starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
Korvellan stellte den Kelch ab. »Der Fürst ist nicht hier, und er wird auch nicht zurückkehren.«
Er schob die Teller zur Seite und breitete eine Karte aus, die neben ihm auf dem Stuhl gelegen hatte. »Wir haben alle größeren Städte besetzt. Wir kontrollieren beide Häfen und die Grenzen nach Braekor. Nachtschatten, die sich unter euch verstecken mussten, strömen aus allen Provinzen zu uns. Bald schon werden wir eine Armee aufstellen, wie sie die Welt seit dem Ende der Vergangenen nicht mehr gesehen hat. Niemand wird uns Somerstorm wegnehmen, kein Fürst und kein König.«
Er rollte die Karte zusammen. »Und ihr könnt ein Teil von
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