Sturm
du, dass eine einfache Frage nach dem Weg mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, als wenn wir noch weitere fünfmal in dieses Dorf reiten?«
Er verzog das Gesicht. »Wahrscheinlich nicht.«
Ana nahm ihm die Entscheidung ab. Sie lenkte ihr Pferd auf den Trampelpfad zwischen den Feldern und ließ es antraben. Sie hörte, wie Jonan hinter ihr folgte. Der Pfad war so schmal, dass sie hintereinander reiten mussten. Rechts und links standen hohe grüne Hecken. Dahinter lagen kleine Roggenfelder und Weiden, auf denen Kühe mit schwarzem, zotteligem Fell standen. Ihre Hörner waren geschwungen und lang wie ein Männerarm.
Gegen Mittag sahen sie endlich Menschen. »Da«, sagte Ana und zeigte auf ein Gerüst, das zwischen Bäumen aufragte. Einige Männer saßen auf den Querbalken und arbeiteten. Der Wind trug ihre Stimmen und dumpfes Hämmern zu ihnen herüber.
Jonan richtete sich im Sattel auf und folgte ihrer Geste mit einem Blick. »Wir wissen nichts über diese Menschen«, sagte er dann. »Seid vorsichtig und überlasst die Fragen mir.«
»Das sind doch nur ein paar Bauern.«
»Dem durchstochenen Herzen ist es egal, ob die Mistgabel eines Bauern oder das Schwert eines Soldaten in ihm steckt.«
Einen Moment lang glaubte Ana, die Stimme ihres Vaters zu hören. Er hatte eine Sammlung von Sprichwörtern besessen, die mit jedem Jahr größer wurde. Der Körper neidet dem Kopf seine Nähe zum Himmel. Deshalb achte stets darauf, wohin dich deine Füße führen, wenn du zu den Monden blickst, war eines gewesen, das er immer wieder zitiert hatte. Ana war sich nicht sicher, ob er verstanden hatte, was es bedeutete.
Einer der Männer auf dem Gerüst stand auf und sah zu ihnen hinüber. Er winkte mit dem Hammer in seiner Hand. Ana drehte sich zu Jonan um. »Sagt dein Sprichwort auch etwas über Bauern mit Hämmern aus oder müssen es Mistgabeln sein?«
Er ging auf ihre Ironie nicht ein. »Eine Waffe ist eine Waffe.«
Der Pfad führte sie zu der Lichtung, auf der das Gerüst stand. Es war ein großes, zweistöckiges Holzhaus, eine Scheune vermutlich. Ein knappes Dutzend Männer schlugen Nägel in Balken, zersägten Stämme und passten Bretter an. Kinder spielten zwischen ihnen im Gras. Eine Gruppe Frauen saß auf einer Decke und schälte Gemüse. Sie warfen es in einen großen Kessel, der zwischen ihnen stand. Auf einem Karren lagen Fladenbrote und in feuchte Laken eingerollter Käse.
Die Menschen sahen von ihrer Arbeit auf, als Ana und Jonan auf die Lichtung ritten. Ihre Gespräche erstarben.
»Bleibt im Sattel«, sagte Jonan leise. Er sprang von seinem Pferd und hob die Hand. »Ich grüße euch.«
Niemand antwortete. Ein Junge, der ein wenig jünger als Gerit wirkte, kletterte über eine Leiter von dem Gerüst. Ein älterer Mann – ein enger Verwandter, wie es schien – stellte sich neben ihn.
»Grüße«, sagte der Junge. Seine Aussprache war unbeholfen.
»Wir suchen den Weg.« Jonan faltete die Karte auseinander und zeigte auf den Großen Fluss. »Den Weg zum Fluss.«
Der Junge sagte etwas Unverständliches zu dem älteren Mann. Der nahm Jonan die Karte aus den Händen und betrachtete sie eingehend. Dann sagte er etwas.
»Ihr falsch«, übersetzte der Junge. »Straße hier.«
»Hier?« Jonan ließ sich die Karte zeigen. Der Mann nickte und erklärte etwas in seiner seltsamen Sprache.
Das kann dauern, dachte Ana. Ihr Blick fiel auf den Käse und das Brot. Am Vorabend hatten sie das Dörrfleisch aus den Vorräten der Soldaten gegessen. Sie hatte die Hälfte weggeworfen, als Jonan nicht hinsah. Etwas zu essen, das sie Toten gestohlen hatten, widerstrebte ihr.
Der Junge wandte sich wieder an Jonan. »Hier falsch, kein Weg. Zurück, dann Nor… nein, Westen. Straße Westen. Immer bleiben bis Pharkynd. Lange Zeit warten wegen …«
Er runzelte die Stirn. »Ghay logaj … ghay logaj …« Er hob die Schultern. »Weiß Wort nicht.«
Jonan bedankte sich und kehrte zu den Pferden zurück. »Wir können weiter.«
Er wollte aufsteigen, aber Ana hielt ihn zurück. »Ich würde gern etwas Brot und Käse kaufen«, sagte sie. »Die Bauern scheinen genug davon zu haben.«
»Nein.«
»Nein?«
Jonan drehte sich zu ihr um. »Wir haben nur noch wenig Geld. Vielleicht reicht es für die Passage über den Fluss, vielleicht nicht.«
Ana hatte sich keine Gedanken über Geld gemacht. Sie dachte an die Nächte im Gasthaus, an das Fleisch, das sie gegessen, und den Wein, den sie getrunken hatte. Jonan hatte sich wohl nicht nur
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