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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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an der Wand. Mein Urgroßvater ließ es bauen.« Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Ich bin der fünfte Kerkermeister aus unserer Familie, und mein Sohn wird der sechste sein.«
    Craymorus fand keine Antwort darauf. »Deine Familie zeigt große Loyalität«, sagte er schließlich. Forderak hob die Schultern. Er schien nicht zu wissen, was das Wort bedeutete.
    Unaufhaltsam näherten sie sich der Tür. Forderak nickte den Wachen zu, die gemeinsam die Riegel aus ihren Halterungen hoben. Einer der Männer öffnete ein Vorhängeschloss mit einem Schlüssel, der an einer Kette von seinem Handgelenk hing.
    »Der Schlüssel kann nicht gestohlen werden«, sagte Forderak, »nur abgeschlagen.«
    Er lachte. Craymorus wusste nicht, worüber.
    »Herr.« Die beiden Wachen verneigten sich. Einer reichte ihm ein Tuch. »Bindet es vor Mund und Nase.«
    Craymorus tat, was er sagte. Das Tuch war feucht und roch nach Herzrosen. Forderak zog eine Fackel aus einer Nische in der Felswand. »Der Gef… – der Nachtschatten ist im Verhörkeller hinter den Zellen. Folgt mir und kümmert Euch nicht um das, was Ihr seht oder hört.«
    Craymorus wollte fragen, was er damit meinte, aber im gleichen Moment öffneten die Wachen die Tür. Der Gestank, der ihm entgegenschlug, war so durchdringend, dass Craymorus glaubte, ihn sehen zu können.
    »Kommt«, sagte Forderak. Craymorus folgte ihm in die Dunkelheit. Seine Augen brannten, ließen das Fackellicht verschwimmen. Der Gestank fraß sich durch das Tuch, durchdrang seine Kleidung und legte sich auf seine Haut. Der Schein der Fackeln enthüllte rostige Gitterstäbe auf der rechten Seite. Weiße Flecken tauchten dazwischen auf und zuckten im Fackellicht zurück wie Schaben, die vor der Helligkeit ins Dunkel fliehen. Craymorus hörte Ketten rasseln.
    »Habt kein Mitleid, Herr«, sagte Forderak zwischen kurzen Atemzügen. »Jeder, der hier sitzt, hat Furchtbares getan.«
    Craymorus antwortete nicht. Er hatte die Lippen fest zusammengepresst und hielt die Luft an.
    Forderak schloss eine Tür am Ende des Zellentrakts auf. Ein schmaler Gang folgte, dann eine zweite Tür. Craymorus spürte kühle, frische Luft. Er blieb stehen und zog das Tuch von seinem Gesicht.
    »Man sollte sie töten«, sagte er. »Das wäre besser.«
    Forderak drehte sich nicht zu ihm um. »Sie sind unberührbar.«
    Craymorus wusste, was das bedeutete. Dämonen hatten ihre Seelen befallen und sie gezwungen, Abscheulichkeiten zu begehen. Wer sie berührte, riskierte, dass der Dämon auf ihn übersprang wie ein Feuer von Hütte zu Hütte. In Craymorus' Heimat hatte man die Unberührbaren in die Sümpfe gejagt, in Westfall sperrte man sie ins Dunkel und wartete auf ihren Tod. Craymorus hätte sich keinen angemesseneren Ort für das Verlies eines Nachtschattens vorstellen können.
    Forderak steckte die Fackel in eine Halterung und öffnete die Tür. Der Raum dahinter lag im Halbdunkel. Es war heiß. An einer Wand stand eine Kohlenpfanne, Ascheflocken bedeckten den Boden. Metallzangen und andere Werkzeuge, deren Zweck Craymorus unbekannt war, hingen in einer langen Reihe an der hinteren Wand. Darunter standen vier Wachen. Sie waren bewaffnet und nahmen Haltung an, als sie Craymorus sahen. Ketten hingen an Eisenstangen und Holzrollen von der Decke. In einer Ecke stand ein Sessel, daneben ein kleiner Tisch mit einer Weinkaraffe und einem Tablett mit Brot, Schmalz und Datteln. Es sah aus, als erwarteten Gaukler die Ankunft des Fürsten für einen Privatauftritt.
    »Für Euch, Herr«, sagte Forderak.
    »Danke.« Craymorus blieb stehen. Sein Blick richtete sich auf den Nachtschatten, der in der Mitte des Raums auf dem Boden saß. Lange Ketten lagen am Boden, führten zu seinen Handgelenken und Fußknöcheln. Ein Eisenring lag um seinen Hals. Der Nachtschatten hatte menschliche Form angenommen, sah wieder aus wie der Junge auf dem Schiff, der hilflos einem Leben in Sklaverei entgegengesehen hatte, nicht wie das Ungeheuer, das im Mondlicht unter Unschuldigen gewütet hatte. Kurz sah er aus geschwollenen Augen auf, dann richtete er seinen Blick wieder auf den Boden. Craymorus hatte nicht den Eindruck, dass der Nachtschatten ihn wiedererkannte.
    »Hat er sich verwandelt?«, fragte er.
    Der Mann, der den Kopf schüttelte, lehnte an der Wand und trank Bier aus einem Holzbecher. Er trug eine bodenlange Lederschürze und sah aus wie Forderaks Zwillingsbruder.
    »Mein Bruder Veth hier«, sagte Forderak, »wird Euch helfen. Er ist stumm. Nichts von

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