Sturm
dem, was Ihr erfahrt, wird nach draußen dringen. Das schwöre ich bei der Ehre meiner Familie.« Er nickte den Wachen zu. »Wir werden draußen auf Euch warten.«
Die Tür schloss sich hinter ihm und den Soldaten. Es wurde still. Die Ketten des Nachtschattens klirrten leise. Craymorus rückte seine Krücken zurecht. Veth und der Nachtschatten musterten ihn mit dem gleichen abschätzenden Blick, fast so wie Meister einen Prüfling, von dem sie wussten, dass er sie enttäuschen würde.
»Ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus«, sagte Craymorus. »Wie man so etwas anfängt. Aber ich habe einige Fragen, die beantwortet werden müssten.«
Er zog ein Stück Pergament aus der Tasche und faltete es auseinander. »Ich habe sie mir aufgeschrieben. Zuerst …«
Er unterbrach sich. »Wie ist dein Name?«, fragte er dann.
Der Nachtschatten antwortete nicht.
»Bitte sag mir deinen Namen.« Craymorus wusste, dass ihn jemand auf dem Schiff beim Namen genannt hatte, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Der Nachtschatten wandte den Kopf ab und schwieg. Veth stellte den Holzbecher zur Seite und trat vor. Craymorus sah die stumme Frage in seinen Augen.
»Das ist doch nicht so schwierig zu beantworten«, sagte er. »Bitte.«
Er wartete, aber es kam keine Antwort. »Ich denke …« Craymorus zögerte. Veths Blick war zugleich Anklage und Aufforderung.
Craymorus hielt seinen Blick einen Moment lang, dann drehte er sich weg. »Schlag ihn.«
Es klang, als würde Wasser auf eine Mauer prallen. Dem Nachtschatten wurde der Kopf in den Nacken gerissen. Blut lief aus seiner Nase.
Das war ich, dachte Craymorus. Ich habe ihm die Nase gebrochen.
Er spürte seinen Herzschlag in der Kehle. Ihm war nicht mehr übel. Etwas regte sich in ihm, etwas, das er noch nie gefühlt hatte. Wie ein Geschmack, süß und bitter zugleich, lag es auf seiner Zunge. Es schmeckte nach Blut, nach Macht, nach Größe. Es schmeckte nach mehr.
»Schlag ihn«, flüsterte Craymorus.
Der zweite Schlag warf den Nachtschatten auf den Rücken. Er stöhnte, kam einen Moment lang nicht wieder hoch.
»Schlag ihn.«
Veth tat, was er sagte. Sein Gesicht war leer, die Augen kalt. Er war nicht mehr als Knochen und Muskeln, der Körper für Craymorus' Geist. Und der Körper stellte nicht in Frage, was der Geist befahl.
Die Schläge folgten aufeinander wie das Schwingen eines Uhrwerks. Veth wartete nicht mehr auf ein Kommando. Er hatte verstanden, was von ihm erwartet wurde. Craymorus beobachtete ihn, seinen Arm, der auf und nieder schwang, seine Hände, die in Lederhandschuhen steckten. Es war fast so, als würde er sich selbst in einem Traum zusehen.
Nach einer Weile ließ Veth den Arm sinken. Der Nachtschatten lag am Boden. Er rührte sich nicht. In der Stille hörte Craymorus seinen eigenen schweren Atem. Es lag keine Süße mehr auf seiner Zunge, nur noch ein scharfer, bitterer Geschmack, so als habe er etwas Verdorbenes heruntergeschluckt.
Sein Blick glitt über den Nachtschatten und dessen blutiges Gesicht. Er war bewusstlos, vielleicht sogar tot. Craymorus wagte es nicht zu fragen. Er hatte Angst, was herauskommen würde, wenn er den Mund öffnete, ob er nicht noch einmal »Schlag ihn« sagen würde – aus den Augenwinkeln sah er die Werkzeuge an den Wänden – oder etwas Schlimmeres.
Veth stand über dem Nachtschatten. Der Schatten einer Eisenstange teilte sein Gesicht in zwei Hälften. Die Hitze des Raums drückte auf Craymorus' Brust, raubte ihm den Atem.
Ich muss hier raus, dachte er und drehte sich dabei so ungeschickt um, dass er über seine Krücken stolperte. Er stützte sich an der Wand ab und spürte eine klebrige Schicht aus Ruß und Fett unter seinen Fingern.
Raus. Er riss die Tür auf. Die Wachen, die davor gewartet hatten, nahmen Haltung an.
»Ist Euer Verhör schon beendet, Herr?«, fragte Forderak.
Craymorus ignorierte ihn. Er zog sich an den Männern vorbei durch den Gang. Forderak drängte sich vor, legte sein Tuch an und öffnete die Tür. »Keine Sorge, Herr, nicht jeder verträgt es, die Folter zu sehen.«
Ich vertrage es, dachte Craymorus. Ich vertrage es nur zu gut. Tief atmete er den Gestank des Zellentrakts ein. Zwei Schritte brauchte er, bis er sich übergab.
Forderak klopfte ihm auf den Rücken. »Gleich ist alles raus. Dann geht es Euch besser, Herr.«
Aber Craymorus wusste, dass das nicht stimmte. Das Verdorbene in ihm saß zu tief, um jemals herauszukommen. Wie ein Samenkorn am ersten warmen Sommertag war
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