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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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Fenster festhielt, und sah die ins dünne Glas gekratzten Siegel, die das Geräusch brechenden Glases noch verstärken würden, und es war anzunehmen, dass sich auch auf dem dicken Eichenrahmen solche Zeichen befanden, die Ähnliches verursachten, wenn man das Fenster als Ganzes herausbrach oder entfernte.
    Er drehte sich vorsichtig mit dem Rücken zum Fenster und blickte auf das uralte Tirah. Es bot mit seinen türmchenbewehrten Dächern und den gewaltigen Türmen einen bezaubernden Anblick, wenn sie von Alterrs Licht erhellt wurden. In einem Wintersturm mit Regenschauern sah es anders aus, dann war es eine schreckliche Stadt mit hasserfüllten Straßen und einer so überheblichen wie gefühllosen Ausstrahlung.
    Eine Stadt der Hochnäsigen, die mit Abscheu auf alle anderen herabblickten  – vor allem auf alle, die in einer solchen Nacht etwas
zu erledigen haben, dachte Mihn ungewohnt gereizt, während er eine Patrouille beobachtete, die in der Ferne vorbeilief und nicht einmal zum Palast herübersah. Die Kälte ließ seine Finger und Zehen schmerzen, und als er sie bewegte, um den Blutfluss anzuregen, lehnten sie sich empfindlich auf.
    Auf der anderen Seite habe ich schon mehr Nächte im Freien verbracht, als ich zählen kann, und es sieht überall ziemlich schrecklich aus, wenn es regnet.
    Das Leben eines Wanderers hatte Mihn vor allem eines gelehrt: Verbitterung war tödlich, wenn man sich ihr hingab. Unwillkürlich widersprach er sich im Geiste selbst, denn er war sich bewusst, dass er sich mit solchem Gejammer die Laune vermiesen würde, was wiederum zu Fehlern führen mochte, die er sich nicht leisten konnte.
    Ihr Götter, ich habe fast vergessen, wie es zu Hause gewesen ist. Eisiger Regen, der von der Nordküste herabzog und sich anfühlte, als schneide er einem das Fleisch vom Leib. Langsam kroch ein Lächeln auf seine Lippen. Und Pirail in der Elfenbrache – wie dumm ich war, diesen Ort nicht vor dem Winter zu verlassen … der verdammte Wind war mir im Sommer nicht so schlimm vorgekommen.
    Er schüttelte die Finger aus. Los geht es. Er legte die Handflächen zu beiden Seiten des Fensters auf die Wand, stemmte sich dagegen und zog sich hoch, bis er das Gleiche mit den Füßen tun konnte.
    Und Tio He , fuhr er im Geiste fort, um sich von dem Schmerz abzulenken, den der raue, eiskalte Stein auf seiner Haut verursachte, während er seine Hände weiter nach oben schob und die Bewegung wiederholte. So stickige, dicke Luft, dass man sie fast kauen konnte.
    Er schob eine Hand unter den Sturz und die andere in einen Riss darüber, um dann seine Füße weiter hinaufzuziehen. Dabei verdrängte er die Pein seiner Finger, als sie einen Großteil seines
Körpergewichts halten mussten. Eilig schob er sich über das Fenster hinaus weiter nach oben und ergriff dort den Fenstersims des ersten Stockes mit der linken Hand.
    Tonlos stieß Mihn die Luft aus, während er seinen Unterarm auf den Sims schob und sich hochzog, bis er sich drehen und darauf setzen konnte. Ter Nol , dachte er, während er tief durchatmete und seine Hände erneut bewegte, wobei er diesmal auch auf Schnitte achtete.
    Vielleicht könnte ich nach Ter Nol zurückgehen und dort einige Jahre die Aussicht genießen. Im Sommer und im Herbst, das waren einige der schönsten Anblicke meines Lebens, damals auf dem Narwal-Dock. Ich wette, nach ein bis zwei Jahren bemerke ich den Gestank auch gar nicht mehr.
    Er stand auf dem Fenstersims und lehnte sich zurück, um nach dem nächsten Fenster zu sehen. Der zweite Stock befand sich ein gutes Stück über ihm, darum zog er zwei Dinge aus einer Tasche am Bein, die wie abgebrochene Dolche aussahen. Sie hatten fingerdicke, gebogene Metallklingen und waren eher fürs Klettern als fürs Kämpfen gedacht. Er rammte einen über dem Sturz in eine Steinfuge und zog vorsichtig daran, bis er sein Gewicht hielt. Die Klinge war zwar stark genug, aber sein Handgelenk wackelte etwas – sie bot ihm einfach nicht genug Grifffläche. Mit einem Seufzen zog er den Dolch wieder aus dem Mörtel und steckte ihn in die Tasche zurück.
    »Also doch der Wurfanker«, flüsterte er, und seine Lippen strichen über die Wand, während er sich zur Seite lehnte, um die Entfernung abzuschätzen.
    »Wollen wir hoffen, dass sie nicht jedes verdammte Fenster in diesem Haus gesichert haben.«
    Der mehrzackige Haken war fest auf seinen Rücken gebunden, aber trotz tauber Finger schaffte es Mihn schnell, ihn zu lösen. Er hatte den Anker nicht

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