Sturmauge
in dem ausbrechenden Aufruhr einen Abgang machen sollte.
Mihn legte den Mantel aus Öltuch ab, den er als Schutz vor dem Regen trug, schlüpfte aus den Stiefeln und machte sich auf den Weg durch die Dunkelheit. Sofort ging eine Verwandlung mit ihm vor, veränderte sich seine Wahrnehmung des Landes. Er konnte seine eigenen Schritte über das Prasseln des Regens hinweg nicht hören, und doch fiel nur dann und wann ein verirrter Tropfen auf seine Schultern. Während er von einem Schatten zum nächsten huschte, wurde der Schmerz seiner Hautbilder durch ein warmes Prickeln ersetzt. Zuerst beunruhigte es ihn, aber bald genoss Mihn die Empfindung. Sie war nicht beruhigend, nicht einmal angenehm, aber sie rief doch etwas in ihm hervor, das er nicht mehr gespürt hatte, seit sein Vater ihm das Spurensuchen und Jagen beigebracht hatte: die Erregung eines Raubtiers auf der Hatz.
Mihn hatte diese Kunst dank seines Geschicks und seiner Flinkheit so bemerkenswert schnell gemeistert, dass sein Vater die Eignung seines Sohnes für die Ausbildung zum Harlekin schon Jahre vor der Auswahl erkannt hatte. Nun steigerte die Magie der Hexe seine Fähigkeiten noch weiter, über das Menschenmögliche hinaus.
Die Kälte biss in seine Zehen, doch er blendete sie aus und konzentrierte sich stattdessen auf seinen Weg. Die erste Patrouille trat aus der Dunkelheit und Mihn glitt näher an das Lagerhaus. Ihre Blicke wanderten über ihn hinweg, ohne ihn zu bemerken.
In der Dunkelheit verrät sich ein Opfer weniger durch seine Gestalt als durch seine Bewegungen. Der Zauber, den sie in seine Haut gewoben hatte, verschleierte nicht, was er war – eine Magie von solcher Macht überstieg die Fähigkeiten der Hexe. Doch sie verbarg seine Handlungen. In Schwarz gekleidet wie er war, hätte sich Mihn auch nur halb so weit entfernt im Schatten stehend vor den durchnässten Pönitenten verstecken können.
Als sie in die andere Richtung blickten, löste er sich aus dem Schatten und setzte seinen Weg mit fließenden, stillen Schritten fort. Als der Palast des Hohepriesters in Sicht kam, lächelte er. Die Hautbilder erreichten alles, was sich Mihn von der Hexe erbeten hatte. Jetzt war es an der Zeit herauszufinden, wie viel Ärger ein Geist mit einem Auftrag anrichten konnte.
Der Palast war nicht darauf ausgelegt, Eindringlinge abzuhalten, und die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen fußten auf Überheblichkeit. Mihn erreichte das Ende des Lagerhauses und nahm sich einen Augenblick Zeit, die Lage noch einmal zu prüfen. Natürlich standen vor dem Eingang zum Tempel Tods Wachen, weil das Haus des Todes stets geöffnet bleiben musste. Aber vor dem Palast des Hohepriesters zog nur ein einzelner Pönitent seine langsamen Kreise. Mihn wartete, bis sich der Mann an eine Stelle bewegte, an der ihn die anderen Wachen nicht sehen konnten, dann eilte er lautlos hinter ihn und schlug ihm mit einem Kampfstock kräftig auf den Hinterkopf.
Danach zog er die bewusstlose Wache in den Schatten und holte den Selbstgebrannten hervor, um dem Mann einen Großteil davon in den Mund zu schütten und dann seine Kehle zu massieren, bis er schluckte. Wenn er wieder aufwachte, würde er ordentliche Kopfschmerzen haben. Dann verschüttete Mihn das Zeug großzügig auf der Robe des Pönitenten und schmierte etwas Blut des Mannes auf eine nahe Wand.
Mistkerl war bei schweren Trinkern bekannt und beliebt, weil
es schnell zur Ohnmacht und einem beinahe komatösen Schlaf führte. Lesarls Spitzel hatten ihm mitgeteilt, dass die Priester den Nachschub für die Wachen einschränkt hatten, darum wäre die naheliegendste Frage hier, warum er nicht mit seinen Kameraden geteilt hatte. Wenn er aufwachte und eine andere Geschichte erzählte, würde man das eher als Versuch betrachten, sich aus einer Anklage herauszureden, nicht aber als die Wahrheit.
Mihn sah sich erneut um, ob auch keine Patrouillen in Sichtweite waren, dann lief er auf die Wand zu und ließ sich von seinem Schwung bis zu den Fensterbänken des hochliegenden Erdgeschosses tragen. Die Berührung des eiskalten Steins entlockte Mihn ein leises Zischen, während er sich zur Kante hochzog. Aber in einer so klaren, stillen Nacht wollte er seinen Kletterhaken nur einsetzen, wenn es unabdingbar wurde. Die Decken der Räume im Erdgeschoss waren fast sechs Meter hoch – und damit prächtig genug, um wichtige Gäste zu empfangen. Außerdem reichten die Fenster fast bis zur Decke.
Er richtete sich auf, wobei er sich an der Laibung der
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