Sturmauge
nun gekommen, und er war in Sicherheit. Eine Nacht nach der anderen , nur daran musste er denken, auch wenn es ihm schwerer fiel und er die Gier deutlicher verspürte. Sie war schon oft kurz davor gewesen, ihn zu überwältigen, aber bisher hatte er sie immer wieder in die Schranken verweisen können.
Er hatte es jahrelang ohne die Stimme in den Schatten geschafft, und er konnte ihre Abwesenheit überleben. Er musste es auch tun, denn alles andere war undenkbar.
Ich werde nicht zulassen, dass ich zu einem Monster werde.
Trotz seiner entschlossenen Worte wusste er, dass es so einfach nicht war. Vor einem Kampf fürchtete er sich nicht, Gewalt und Tod waren nur Ereignisse, die in seiner Nähe stattfanden, aber die Aussicht, sich der Gier zu ergeben, erschien so schrecklich, dass er darüber nicht einmal nachdenken durfte.
Ihr Götter, die letzte Nacht war schlimm, so schlimm. Ich hätte beinahe nicht bis zur Dämmerung durchgehalten.
Götter? Dieses Wort hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Es war nur noch eine Angewohnheit, ein bedeutungsloser Fluch. Die Götter hatten seinen Gebeten niemals Gehör geschenkt, die Götter interessierten sich nicht für ihn.
Als er am Boden gewesen war, den Leichnam dieses Hundes in den Händen, die Zähne so stark aufeinanderbeißend, dass sein Kiefer noch tagelang geschmerzt hatte, hatten ihm da die Götter
geantwortet? Nein, die beruhigende Stimme aus der Dunkelheit hatte keinem Gott gehört – Götter zeigten sich als gleißende, triumphierende Gestalten, sie versteckten sich nicht in den Schatten.
Und doch waren seine Gebete erhört worden, denn der Hunger war verschwunden, solange die Stimme zu ihm sprach und ihn nährte. Er wusste nicht, warum sie plötzlich verstummt war, nach Jahren des Flüsterns und leisen Lachens, die das einzige Anzeichen für die verstreichenden Wochen gewesen waren, und auch nicht, wann er sie wieder hören würde. In einer Woche, einem Monat? Er hatte sich auf die Stimme verlassen, und dann war sie ohne eine Erklärung oder Vorwarnung verschwunden, ließ nur ein Gefühl des Verlustes zurück, das ihn beinahe so plagte wie der Durst.
»Ich werde stark sein, denn der Schatten kommt wieder«, sagte er leise, aber entschlossen. Er stand auf und ging auf die Straße hinaus, wo der neue Tag anbrach.
Eine Gestalt auf einem Dach über ihm sah ihm nach.
Interessant , dachte Mihn und lehnte sich weit hinaus, bis der andere außer Sicht war. Sehr interessant. Das sollte ich deiner Akte hinzufügen. Lesarl wird sich freuen.
Lesarl lächelte auf das Gesicht seines schlafenden Sohnes hinab und schloss leise die Tür. Er war sehr früh aufgestanden, die Dämmerung hatte sich im Himmel gerade erst angedeutet, um einige Stunden Vorsprung vor dem Rest der Stadt zu haben. Ein muffiger Geruch erfüllte das Haus, in den sich abgestandener Schweiß mischte. Es war der Geruch eines Hauses, bevor das Gesinde seinen Tag begann, bevor das Brot gebacken wurde und der Eifer der Stadt hereinschwappte.
Heute Morgen hing auch die Feuchtigkeit in der Luft, die der nächtliche Regen mit sich gebracht hatte. Vor dem Fenster seines
Ankleidezimmers lag die Stadt nach dem Regenguss still da. Eine große Pfütze hatte sich auf der Straße gesammelt und ließ den beiden Wachen vor seinem Tor kaum genug Platz. Sie standen gebückt an der niedrigen Wand und drückten den Rücken gegen das Geländer.
Er begab sich zum Frühstückszimmer. Er liebte diesen Raum, obwohl er wegen der fünf hohen, regenbedeckten Fenster, die verhinderten, dass es hier jemals richtig warm wurde, sehr unpraktisch war. Auf einem Tisch mit dampfendem Griesbrei stand eine Lampe. Sie konnte das Halbdunkel nicht vertreiben, aber es würde ausreichen, um die morgendlichen Berichte seines Sekretärs zu lesen. Der untere Teil der Fenster war mit skelettartigen, graubraunen Ranken bedeckt. Sie waren nicht abgestorben, sondern warteten auf die Rückkehr der Sommersonne.
Ihm fiel auf, dass der übliche Hagebuttentee fehlte, und so machte er sich daran, seinen Diener zu rufen, doch als er die Tür erreichte, schoss etwas aus dem Schatten hervor und drückte ihm einen harten Gegenstand an die Kehle. Ohne nachzudenken griff er nach dem Stilett, das er stets bei sich trug, aber der Angreifer war schneller und schlug ihm schon einen Ellenbogen gegen den Arm, so dass dieser sofort taub wurde. Der Druck an seinem Hals nahm zu.
»Gebt mir einen guten Grund, Euch nicht den Hals umzudrehen«, zischte eine Stimme in
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