Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
Vom Netzwerk:
benutzen wollen, aber die Entfernung
zum nächsten Fenstersims war so gering, dass niemand ihn bemerken würde, wenn er ihn nicht ohnehin schon beobachtete. Und wenn dies der Fall war, steckte er bereits in Schwierigkeiten.
    Kurz darauf kauerte er im Schatten eines Fensters im zweiten Stock und lächelte in die jungfräuliche Oberfläche der Glasscheiben.
    Er verstaute den Wurfhaken wieder sicher, dann kratzte er das Blei um eine der Scheiben mit seinem Messer weg, damit er das Glas herausnehmen und eine Hand hineinschieben konnte, um den Bolzen zu lösen. Kurz darauf stand er in einem spärlich eingerichteten Arbeitszimmer und bedankte sich im Geiste bei Lesarl für die Genauigkeit seiner Informationen. Er setzte die Glasscheibe wieder ein und zog den dicken Vorhang zu, der die Winterkälte abhalten sollte. Dabei kam er auf die Idee, sich mit der Innenseite der Vorhänge so gut wie möglich abzutrocknen. Der Vorhang wäre schon wieder trocken, bis jemand nachsah, und so war es auf jeden Fall sicherer, als nasse Fußstapfen im Flur zu hinterlassen.
    Er ging aus dem Zimmer auf den Flur, überlegte kurz, wo auf dem auswendig gelernten Grundriss er sich befand, und eilte dann zur Gesindetreppe. Er erklomm zwei Absätze und fand bald das Schlafzimmer des Hohepriesters. Es nahm, zusammen mit dem riesigen Arbeitszimmer des Mannes, das halbe Stockwerk ein.
    Der fein verzierte Vorhang, der die drei Türen des Raumes verdeckte, war beim mittleren Eingang, der dem Brauch gemäß keine Tür enthielt, um den Tempel nachzuahmen, beiseitegezogen. Hier gab Hohepriester Bern üblicherweise seine Audienzen. Mihn trat leise ein und sah sich um. Eine einzige Öllampe spendete wenig Licht im Flur, gerade genug, um Umrisse zu erkennen, aber es reichte aus, damit Mihn die Regale an den Wänden
und den Schreibtisch und einige Stühle sehen konnte, die in einem sonst leeren Raum standen.
    Zur Rechten ging eine weitere Tür ab, die zum Schlafzimmer des Hohepriesters führte. Mihn vermutete, dass sie trotz der bisher geringen Sicherheit verschlossen war, probierte es aber gar nicht aus – er brauchte das nicht zu tun. Er zog einige Blätter unter seinem Hemd hervor und verteilte sie auf dem Schreibtisch, dann band er die Vase los und stellte sie auf den Boden.
    Über ihm verlief ein langer Balken durch das ganze Zimmer, beinahe so breit wie sein Körper und auf jeden Fall breit genug, um sich daraufzuhocken und zuzusehen, was geschah – er war sicher, dass jeder, der in Kürze in den Raum kommen sollte, nicht nach oben sehen würde, und falls doch, dann würde ihn der Zauber der Hexe schützen. Er löste vorsichtig den Draht, der den Deckel des Gefäßes hielt. Es war etwas größer als eine Handfläche, aber doppelt so dick und mit einem dunkelgrünen, verschlungenen Muster bemalt, das Mihn nichts sagte. Er nahm den Deckel ab und sprang dann sofort auf Jopel Berns Schreibtisch und von dort weiter, packte den Balken und zog sich leise hoch. Er legte sich flach auf das Holz und wartete schweigend, das Gefäß im Blick.
    Gar nichts geschah. Aus einem Herzschlag wurden fünf, dann zehn. Mihn bemerkte, dass er die Luft anhielt und atmete leise aus – genau in diesem Augenblick erschien an der Öffnung des Gefäßes ein grünes Leuchten. Plötzlich schoss es in die Luft und wurde zu einer mannsgroßen Wolke, um sich dann zu einer Gestalt zu verdichten.
    Gnädige Götter, hoffentlich wirkt die Magie der Hexe auch hier , betete er und umfasste den Balken fester.
    Der Dämon war in etwa so groß wie ein großer Mann und dazu nackt, mit unregelmäßigen Stachelbüscheln wie bei einem räudigen Stachelschwein. Seine linke Hand schien einigermaßen
gewöhnlich – wenn man die überlangen Finger und Krallen nicht beachtete. Aber die rechte war wesentlich größer, mit zwei kurzen, fingerähnlichen Auswüchsen, aus denen einige lange, dicke Stacheln ragten.
    Während Mihn ihn beobachtete, drehte der Dämon seinen Körper nach links und rechts. Er besaß keinen Hals, mit dem er den flachen Kopf hätte bewegen können, aber dafür deckten zahlreiche Augen beinahe jede Blickrichtung ab. Kurz fragte sich Mihn, warum sich der Dämon überhaupt drehte, doch dann bemerkte er sein Schnüffeln und sah, dass sich die schlaffe Haut in seinem Gesicht erst in die eine, dann in die andere Richtung bewegte.
    Mihn machte sich bereit, vom Balken herunterzuspringen, sollte sich der stachelbewehrte Arm heben. Der Dämon schnüffelte zunehmend aufgeregter herum und

Weitere Kostenlose Bücher