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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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zweihundert Jahre«, sagte Lesarl, der Mihns Blicke auf die Mappen deutete. »Wenn man weiß, wie man sie zu lesen hat. Könnt Ihr erraten, welches Eure Akte ist?«
    »Ich vermute, eine der neueren auf dem Regal hinter Euch«, sagte Mihn, während er auf den Schreibtisch zuging. Zwei Lehnstühle mit gerader Rückenlehne standen daneben.
    »Das hättest du gerne, nicht wahr?«, sagte Tila leichthin, ging um den Tisch herum und setzte sich auf ihren Stuhl. »Aber der Verfolgungswahn unseres Haushofmeisters kennt keine Grenzen. Die Nummerierung erlaubt es, neue Akten an zufälligen Stellen einzuordnen – und bisher habe ich es noch nicht geschafft, die Akten zu erkennen, die als Platzhalter eingefügt wurden oder die falschen Dokumente, die in den meisten Akten stecken, falls doch einmal jemand hineinsieht, der nicht dazu befugt ist. Aber wenigstens durchschaue ich langsam seine kryptischen Anmerkungen, so dass mir die fehlenden Namen nicht mehr solche Schwierigkeiten bereiten.«
    Lesarl lächelte Mihn wie eine Schlange an, die kurz davor war, eine Maus zu verspeisen. »Es wäre dumm, sich auf die Sicherheitsmaßnahmen des Palastes zu verlassen, nicht wahr?«
    Mihn zuckte die Achseln.
    »Ihr habt keine Lust auf einen Plausch?«, fragte der Haushofmeister. Er war ein dünner Mann mit spinnendürren Gliedern und einem schmalen, spitzen Gesicht. Sein Lächeln war der bösartigste Ausdruck, den Mihn jemals gesehen hatte, und es war Lesarls Liebling, aus einer ganzen Reihe von Ausdrücken ausgewählt, die vielleicht nicht so anwechslungsreich waren wie das Repertoire eines Harlekins, aber ganz sicher ebenso kunstvoll.

    Er erhob sich und sagte: »Wie die Dame Tila sehr richtig ausführte, beansprucht mein Verfolgungswahn einen Großteil meiner Zeit. Wenn Ihr also nur dort sitzen und vor Euch hinstarren wollt, dann werdet Ihr mir sicher verzeihen, dass ich unterdessen ein wenig arbeite.«
    »Ich benötige Informationen«, sagte Mihn.
    Das Lächeln kehrte auf Lesarls Gesicht zurück. »Davon habe ich mehr als genug, aber Ihr müsstet etwas genauer werden.«
    »Ein Tagebuch – ein sehr ungewöhnliches Tagebuch, das Lord Bahl vor seinem Tod las.«
    Es kam fast unmmerklich, aber Mihn glaubte trotzdem ein kurzes Zögern beim Haushofmeister zu entdecken, bevor er antwortete: »Unser Lord war ein gebildeter Mann, darum wäre es nötig, etwas mehr zu erfahren.«
    Interessant – du weißt, wovon ich spreche, und es ist ein Thema, über das du nicht reden möchtest. Entweder bist du nicht so sadistisch, wie man sich erzählt, oder hier gibt es etwas, das du geheim halten willst.
    »Ich glaube, Ihr kennt das Tagebuch schon«, sagte Mihn.
    »Vielleicht habe ich eine Vermutung«, antwortete Lesarl kühl. »Aber was wäre damit?«
    »Ich möchte es lesen – habt Ihr es noch?« Mihn überging Tilas fragende Blicke.
    »Ihr arroganter, kleiner …«, fauchte Lesarl plötzlich. »Versucht Ihr herauszufinden, ob ich es verkauft habe?« Er beugte sich über den Schreibtisch. »Das habe ich nicht getan, und das würde ich auch nicht tun. Wie könnt Ihr es wagen, so etwas auch nur anzudeuten?« Der Haushofmeister bebte vor Zorn. »Ich nehme meine Aufgabe hier wichtiger als Ihr … ihr Kinder es jemals verstehen könntet. Mein Aufgabenbereich ist klar umrissen. Und ihn zu übertreten würde eine sofortige Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren bedeuten …«

    »Ich hielt es für angemessen, danach zu fragen«, unterbrach ihn Mihn mit ruhiger Stimme. »Es ist immerhin ein heikles Thema.«
    Lesarl sah ihn nachdenklich an. Sein Gesicht verlor den roten Ton, und seine Stimme war ruhiger, als er antwortete: »Das ist es. Das Tagebuch ist nicht für die Augen der Öffentlichkeit gedacht. Bevor wir weitersprechen, wüsste ich gerne, warum Ihr es lesen wollt. Und wie Ihr überhaupt davon erfahren habt.«
    »Lord Isak erwähnte es in meinem Beisein«, sagte Mihn. »Und ich weiß nicht genau, was ich damit will. Ich suche Antworten – und vielleicht auch weitere Fragen. Bisher weiß ich das noch nicht genau. Aber ich antworte Euch aufrichtig.« Und das ist das Problem. Ich weiß selbst nicht so ganz, warum ich es lesen will. Vielleicht hat Isaks Wagemut auf mich abgefärbt.
    »Ihr wisst es nicht? Obwohl es um eine Angelegenheit der Staatssicherheit geht?«
    Aus dem Augenwinkel sah Isak, dass Tilas Ausdruck nun angespannter wirkte, aber sie mischte sich nicht ein. Ohne Zweifel wusste sie genau, dass Lesarl nichts mehr liebte, als wenn ihn jemand um

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