Sturmauge
zu ihr und nahm sie in den Arm. Er drückte sie an sich und küsste sie auf den Scheitel. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dir eigentlich noch gute Nacht sagen, habe aber nicht bemerkt, wie spät es geworden ist. Ich kann im Augenblick nicht klar denken … dieser verdammte Schnitt.« Sogar in Scree hatte Vesna Tila stets an ihrer Schlafzimmertür eine gute Nacht gewünscht, und auch nachdem sie in Isaks Räumlichkeiten gezogen
war, um Xeliath Gesellschaft zu leisten und zu helfen, hatte er mit dieser Tradition nicht gebrochen.
»Tut es noch weh?«, fragte sie besorgt. »Sollen wir den Heiler noch einmal rufen lassen?«
»Nein, nein«, sagte Vesna und verwarf die Sache mit einer Geste. »Die Naht braucht einfach etwas Zeit, um zu verheilen.«
»Was ist es dann?«, hakte sie nach. »Du hast dir auch früher schon Verwundungen zugezogen. Haben sie damals auch immer dafür gesorgt, dass du dich so seltsam verhältst?«
»Ich …« Vesna versagte die Stimme, als er den Ausdruck im Gesicht seiner Verlobten sah, und er gab zu: »Nein, das ist nicht normal.«
»Dann sag mir, was los ist.« Tila schob ihn zum Stuhl und kniete sich neben ihn, wobei sie seine Hände umfasste.
»Wir heiraten in einigen Wochen. Ist es das? Bekommst du einfach kalte Füße?«
Vesna sah in ihren Augen, dass sie das selbst nicht glaubte, und darum versuchte er auch gar nicht erst zuzustimmen. Er seufzte und erkannte, dass die Zeit gekommen war. »Nein, das ist es nicht, glaube mir. Ich kann es kaum noch erwarten.« Er drückte ihre Hand.
»Nun?«
»In der Nacht des Überfalls«, setzte er an, hielt dann aber kurz inne. »Tila, in dieser Nacht ist etwas geschehen, das ich dir nicht erzählt habe.«
»Wolltest du dir in diesem Bordell da etwa noch mehr genehmigen als nur einen Trunk?«, fragte sie und versuchte zu lächeln.
»Ihr Götter, nein!«, rief er und zog eine Grimasse. »Ich wünschte, es wäre so einfach. Nein, ich meine während des Überfalls. Danach ist etwas geschehen, über das ich seit Tagen nachdenke. Ich versuche herauszufinden, was ich tun soll.«
»Dann erzähl mir davon. Nichts kann etwas zwischen uns
ändern.« Sie bemerkte, dass Vesna bei diesen Worten das Gesicht verzog und fuhr streng fort: »Evanelial Vesna, hältst du mich denn für dumm? Du warst zwanzig Jahre lang Berufssoldat, und ich weiß sehr gut, was das von einem verlangt, was es mit einem anstellt. Außerdem weiß ich, dass du Aufträge für Lesarl ausgef…«
»Was?«, platzte Vesna heraus. »Er hat dir davon erzählt?«
»Sozusagen. Jetzt schau nicht so erschrocken, ich arbeite täglich mit dem Mann zusammen und habe gut darüber nachgedacht, ob ich dich heiraten will. Dachtest du, ich hätte nur wochenlang gegrübelt, wie ich mein Haar tragen will?« Ihre Stimme wurde sanfter. »Mein Vater fragte mich, was für eine Mitgift ich wolle – und ich musste nicht lange suchen, bis ich mir ein Bild von den Schulden gemacht hatte, die dir dein Vater hinterlassen hat. Es war unmöglich, dass du die Zinsen dieser Schulden und die Akademie der Magie für deine Rüstung bezahlen konntest.«
»Hast du meine Akte gelesen? Soll ich dir davon berichten?«
Tila strich ihm mit der Hand über die Wange. »Nein, Liebling, ich kenne dich doch. Ich weiß bereits, was du für den Stamm zu tun bereit bist. Ich muss nicht fragen. Du magst ja einen schlechten Ruf haben, aber niemand hat jemals behauptet, dass du aus Gier nach Ruhm oder sogar gerne tötest. Es steht mir auch nicht zu, infrage zu stellen, was du früher zum Wohl des Stammes getan hast.«
Vesna war verwundert, wie leicht sie die Angelegenheit abtat. »Bist du sicher?« Er erinnerte sich nur zu gut an Tilas Gesichtsausdruck, als Isak leichthin verkündet hatte, dass er am vorhergehenden Abend einen Mann getötet hatte. »Das hörte sich nach dem Tod Graf Vilans aber ganz anders an.«
»Vilan? Ich habe nie behauptet, ich würde Mord gutheißen, und ich glaube auch nicht, dass du jemals so darüber sprechen würdest, wie Lord Isak es damals tat.« Sie erschauderte. »Dieser
kaltherzige Wesenszug trifft mich dann und wann immer noch überraschend, aber ich habe ihm vergeben, so wie ich dir deinen Ruf vergeben habe. Glaubst du, es hätte mich beeindruckt, als Lesarl absichtlich eine Nachricht des Schlüsselmeisters der heraldischen Bibliothek so liegen ließ, dass ich sie finden musste? Jene Nachricht besagte, dass Lord Bahl unsere Hochzeit gutheißen würde, wenn es denn … dazu
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