Sturmauge
herzlos sein. Jeder im Hafen wusste, dass man sich besser nicht mit jemandem anlegte, der den Namen Dei trug. Sogar ihre Schwiegersöhne, allesamt große, kräftige Männer, brachen darum mit dem alten Brauch und nahmen den Namen Dei an. Und diese drei Ohrringe erscheinen wohl keinem außer ihr selbst als Scherz , dachte Isak. Die anderen betrachten sie als Warnung, dass ihr Wort in dieser Gegend ebenso Gesetz ist wie das meine – vielleicht sogar in noch größerem Maße, wenn man es darauf ankommen ließe.
»Angespannt beschreibt es nicht mal im Ansatz, Junge«, erwiderte sie gelassen. »Ich spreche von der Verwirrung, die in der Luft liegt. Keiner kommt mehr mit dem anderen zurecht, die Adligen nicht, die Priester nicht, die Soldaten nicht. Ihr macht Euch Sorgen über das Chaos, das in der Stadt herrscht – man
kann keinen Krieg führen, wenn man sich selbst bekämpft, oder? Und das zieht sich durch alle Schichten und läuft sogar in Eurem Innern ab.«
Isak antwortete nicht sofort. Die ruhige Ausstrahlung der Frau nagte an dem Mahlstrom aus Verzweiflung und Ärger, den er in sich trug. Er wusste, dass sie Recht hatte, aber er wollte nicht, dass sie so umfassend richtig lag. Die Priester unterlagen einem wie auch immer gearteten Einfluss und auch er spürte ihn, dank der Schädel allerdings weniger stark, da sie als Dämpfer für seinen Geist dienten – und das sollte niemand im Land erfahren.
»Klingt, als hättest du gründlich darüber nachgedacht«, sagte er nach einer Weile. »Hast du einen Vorschlag für mich? Immerhin ist es deine Aufgabe zu beraten, nicht einfach nur das verdammt noch mal Offensichtliche zu erzählen.«
Sie zuckte die Achseln und blickte zur Seite, um eine Unterwürfigkeit zu zeigen, die ganz sicher nicht aufrichtig war. Sie ist wirklich gerissen , dachte Isak. Sie weiß, dass es sogar hier — trotz des formlosen Umgangs innerhalb des Gefolges und ihrer Stellung darin – nicht weise ist, mir Anweisungen geben zu wollen.
»Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich die Probleme der Priester kenne«, sagte sie langsam. »Darüber wisst Ihr Bescheid, ich nicht, also muss ich raten …«
»Jetzt zieh schon deine Schlüsse«, sagte Isak und bedeutete ihr, zur Sache zu kommen.
»Ich würde die Ablenkungen loswerden wollen, die die Adligen aufbringen«, sagte sie bestimmt.
»Und die wären?«
»Eure Krönung – darum sind sie hier, und sie werden sich wie Kinder streiten, bis sie wissen, wann sie nach Hause zu ihren Familien zurückkehren können. Und dann fragt man sich, was mit Lomins Herzogtum passiert. Und am wichtigsten ist natürlich Herzog Certinse.«
Isak nickte zustimmend. Lesarl, Tila und Vesna waren sich einig gewesen, was die Verhandlung und die Hinrichtung von Herzog Certinse betraf. Die Familie des Mannes hatte zu viele Verbündete, und zu viele Dynastien hatten sich mit ihr verbunden. Weil aber niemand wusste, welche Händel und Schuldzuweisungen noch kommen würden, war keinem so recht wohl. Außerdem hatte sich ein Dutzend Lordprotektoren offensichtlich nur aus Prinzip eingemischt.
»Und wie viele Streitigkeiten über die Außenpolitik werden sich dadurch lösen?«
»Keine, aber wenigstens könnt Ihr Euch dann darüber streiten. Die Leute werden deutlich friedlicher, wenn es ein oder zwei Gründe weniger gibt, sich zu streiten. Ihr seid Lord der Farlan, wenn auch noch nicht besonders lange. Sobald sich die Leute daran gewöhnt haben und erkennen, dass unser Reich noch immer stark ist, wird auch Euch die Ehrfurcht zufallen, die Lord Bahl genossen hat.« Bürger hielt inne und sah zu Tänzer am anderen Tisch hinüber. »Tänzer, stimmt doch, dass die Adligen nicht viel von Kardinal Vecks Reformen halten?«
Der Adlige zuckte zusammen, als sei er gerade aus der Betrachtung von etwas Schönem gerissen worden, und sah Bürger mit leerem Blick an. Schließlich sagte er: »Das stimmt. Wer auf ihn hört, achtet darauf, ihm nicht allzu lauthals zuzustimmen.«
Tänzers Stimme war volltönend und schmeichelnd. Ihr fehlte Graf Vesnas Tiefe, doch er sprach mit der gleichen geschmeidigen, sorgfältigen Betonung. Tänzer hatte im Gegensatz zu Isak seinen Mantel abgelegt und seine formelle Kleidung darunter offenbart. Sie war trockener als Isaks, denn Tänzer war nicht vom Regen überrascht worden.
Der Mann strich sich über den langen, grau werdenden Schnurbart, eine einstudierte Bewegung, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war und seine Eitelkeit betonen
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