Sturmauge
hinab, deren Steine der Regen vom Schmutz des Tages saubergewaschen hatte. Der Regen und die Kälte konnten die Arbeit am Hafen nicht behindern. Tirahs Händler waren entschlossen, möglichst viele Güter in die kalten Lager unter der Stadt zu bekommen, bevor der Winter die Stadt wieder belagerte. Er glaubte kurz, eine Gestalt im Schatten gesehen zu haben, nicht einmal deutliche Umrisse, aber doch genug, dass Isak der Atem stockte.
Ihr Götter, spielt mir meine Vorstellungskraft einen Streich? Ich habe nichts gesehen, ich fühle nichts, und doch … und doch ist da wieder dieser Geschmack in meinem Mund, der mich an den Tempelplatz in Scree erinnert, als ich die Schnitter aufspürte.
Er biss sich nervös auf die Lippe, die auch zu bluten begann. Ihr Götter, was habe ich angerichtet, als ich sie beschwor?
Er schüttelte das flaue Gefühl ab. Damit konnte er sich jetzt nicht befassen. Seine Träume waren in letzter Zeit düster genug gewesen, sogar jene, in denen Xeliath seinen Geist berührt hatte. Der Himmel war ihm dunkler erschienen, der verschwommene Horizont bedrohlicher. Wenn sie nicht da war, fand er sich auf
einer leblosen Ebene wieder. Der Boden war verbrannt und rauchte, fühlte sich aber kalt an. Er wusste, dass noch andere da waren, aber er konnte niemanden sehen. Der Wind peitschte aus dem Boden hervor, versuchte ihn wie einen Drachen in die Luft zu heben. Aber gleichzeitig wurde er nach unten gezogen, zur Erde, die wie frisch gepflügt aussah. Wenn er nach einem solchen Traum erwachte, musste er sich zusammenreißen, um sich nicht der Einsamkeit zu ergeben, sich zusammenzurollen und die Decke über sich zu ziehen. Er hatte schon sein ganzes Leben lang seltsame Träume gehabt, von denen einige nicht einmal wirkliche Träume gewesen waren, und diesen neuen Träumen haftete jetzt die gleiche Eindringlichkeit an wie seinen Visionen von Lord Bahls Tod.
Er nahm sich zusammen und wandte sich wieder dem Raum zu. »Du willst also damit sagen, ich solle die Anträge und Unterredungen mit einem herrschaftlichen Befehl beiseitewischen?« Er versuchte seine Züge im Zaum zu halten, damit sich kein gequälter Ausdruck hineinschlich. »Lesarl riet mir das Gegenteil. Er glaubt, dass ich damit nur noch größeren Widerstand hervorrufe.«
»Damit liegt er falsch«, sagte Bürger geradeheraus.
Isak blickte zu der dunklen Gestalt des Haushofmeisters hinüber, der hinter seinen Gefolgsleuten stand. Er lächelte Lesarl matt an. »Eines der vielen unangenehmen Dinge bei meinem Haushofmeister ist dies, dass er von schlaueren Leuten als mir für sehr schlau gehalten wird.«
»Ich bezweifle nicht, dass er Recht hat mit dem, was er da sagt, aber er liegt sicher falsch bei dem, was zu tun ist«, sagte Bürger nachdrücklich.
»Ich vermute, das wird seine Befürworter ebenso beruhigen wie seine Feinde. In den letzten beiden Wochen wurde mir einerseits vorgeschlagen, ich solle ihn zum nächsten Herzog von
Lomin machen und andererseits geraten, ich müsse ihn wegen Bestechlichkeit in den Kerker werfen. Ich schwanke noch, was den Titel angeht. Ich bin nicht sicher, dass er den Stammbaum hat, den ich bei meinen Herzögen sehen will.«
»Ja, mein Lord«, sagte Bürger ohne den passenden, unterwürfigen Ton, der deutlich machte, dass sie nicht vorhatte, sich von Isaks übernatürlicher Ausstrahlung einlullen zu lassen. Einige Leute lachten unvermittelt und in den seltsamsten Situationen mit Isak mit. Aber sie war auf ihn vorbereitet. »Lesarl hat Recht damit, dass Ihr dabei machthaberisch wirken werdet, und das ist eine schlechte Art, seine Herrschaft anzutreten. Sie hätten es bei Lord Bahl hingenommen, aber Euch kennen sie noch nicht.«
»Also?«
»Es ist doch vollkommen gleich.«
Isak lachte auf und wandte sich dem Rest des Gefolges zu. Bürgers Ausdruck war unbewegt, sie scherzte nicht. Nur Gebet zeigte eine Regung, er presste die Lippen noch stärker zusammen.
»Bürger hat auf ihre erfrischende Art Recht«, mischte sich Tänzer ein. »Die Priester machen sich keine Freunde. Mehr Leute besuchen die Hohe Messe, aber das ist wohl eher der Scham geschuldet und wird sich wieder ändern, wenn die Leute es leid sind, sich an ihre Sünden erinnern zu lassen. Ich weiß von der Akademie der Magie, dass die Magier die Nase schon so gut wie voll haben.«
»Wer will es uns verdenken?«, blaffte Beschwörer. »Nachdem man uns in den letzten beiden Wochen fünfzehnmal die Zusammenarbeit mit Dämonen vorgeworfen und
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