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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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Mauer, an der Ecke zur Hauptstraße, war rund ein Dutzend weißer Bänder an die Schlingpflanze gebunden und fl atterte in der steifen Abendbrise – kleine Opfergaben an Sheredal, die Frostbringerin, so vermutete er. Der Besitzer des Hauses war vermutlich alt, und bei diesem eisigen Wind konnte der Boden im Winter schnell überfrieren, was für die Alten und Gebrechlichen eine wirkliche Gefahr darstellte. Ein schlimmer Sturz konnte schnell tödlich enden, und dann konnten auch Hohepriester Antil und seine dicken Heiler nicht mehr helfen.
    Solche Bänder an den Häusern stellten das Höchstmaß an Verehrung für Sheredal dar, das Doranei auf seinen Reisen gesehen hatte. Und das einzige Abbild dieses sanften Aspekts von Asenn war Teil des Frieses in Narkang. König Emin hatte es in Auftrag gegeben, und so stellte es eine ungewöhnliche Mischung niederer Götter und Aspekte dar, die das wechselhafte Gemüt des Königs hervorragend abbildete. Das Bild Sheredals zeigte sie als alte Frau mit wildem, stacheligem Haar und langen, gebogenen Fingern. Sie sah zwischen all den noblen Göttern einsam und traurig aus, aber soweit Doranei wusste, entsprang sie vollständig der Vorstellungsgabe des Künstlers.
    Doch das ist jetzt unwichtig. Heutzutage stellt sich halb Narkang die Frostbringerin so vor. Ich glaube, dass er dieses Stück in Auftrag gab, um einigen von uns zu zeigen, wie mächtig der Glaube sein kann.
    Doranei musste nicht lange warten. Keiner der wenigen Passanten bemerkte ihn. Er entdeckte eine gebeugt einhergehende Gestalt, in einen abgewetzten Schafsfellmantel gehüllt, der viel
zu groß war, und erkannte darin sofort das Mädchen, von dem Yanai gesprochen hatte.
    Er hatte sich im Vorfeld die Tasche mit kleinen Steinen gefüllt. Einen davon warf er nun nach dem Mädchen, als sie die Mitte des Platzes erreicht hatte. Dieser prallte harmlos gegen ihren Mantel. Wie erwartet blieb sie sofort stehen.
    Und sah sich erstaunt um. Die Straße war in beide Richtungen leer, und sie hatte hatte so sehr auf ihre Füße geachtet, dass sie nicht bemerkt hatte, wie er hinter dem Efeu hervorgetreten war, um den Stein zu werfen.
    »Entschuldigung«, rief er in der Annahme, dass die meisten Diebe und Mörder sich nicht erst einmal bei ihrem Opfer entschuldigten. Sie wandte sich dem Laut zu und sah sich suchend um. Er trat auf die Straße und winkte.
    »Warum habt Ihr das getan?«, fragte sie wütend. Ihre Stimme war hoch und heiser, und sogar Doranei, der den Dialekt nicht sonderlich gut beherrschte, bemerkte sofort, dass sie aus dem ärmsten Teil der Stadt stammte. Sie klang jünger, als ihre Größe vermuten ließ.
    »Damit du dich nicht erschreckst.«
    Das Mädchen blickte sich um, damit sich niemand anschleichen konnte, aber bis auf den merkwürdigen Mann, der nun mit ihr sprach, war sie allein. Sie spannte sich an, jederzeit dazu bereit, davonzulaufen.
    »Was wollt Ihr?«
    »Zuerst einmal«, sagte er und hob die Hand, um sie an weiteren Fragen zu hindern. »Ich treffe mit Steinen sehr gut, aber mit Messern noch besser.«
    »Und?«
    »Und«, sagte er und versuchte so harmlos wie möglich zu klingen, »ich kann dich auf eine noch unangenehmere Art und Weise aufhalten, wenn es sein muss.« Dabei zog er ein Messer
aus seinem Ärmel und drehte es in den Fingern, so dass er es werfen konnte.
    Das Mädchen erstarrte, war schon kurz davor zu fliehen. Aber Doranei wusste, dass sie ihm nicht den Rücken zuwenden wollte. »In der Nebenstraße stehen Wachen, die herkommen, wenn ich schreie.«
    »Ja, mit denen hab ich mich unterhalten. Ein Alter, ein Junger. Beide halten nicht viel von dir, und glaub mir lieber, wenn ich sage, dass ich mit beiden fertig werde.«
    »Was wollt Ihr?« Sie war offensichtlich verwirrt. Doranei hatte sie bedroht, war aber immer noch nicht nähergekommen. Er war zu weit entfernt, um sie sicher mit einem Schlag treffen oder sie zu Fuß einholen zu können. Aber es wäre doch ein recht großes Wagnis, sich darauf zu verlassen.
    »Ich möchte mit jemandem sprechen.«
    »Könnt Ihr Euch keine Hure leisten?«
    Doranei lachte. »Du erinnerst mich an eine Frau, die ich kenne. Ihr loses Mundwerk hat sie ihr ganzes Leben lang in Schwierigkeiten gebracht.« Er zog die Nase hoch. »Aber wenn du weiter so mit mir sprichst, solltest du besser ebenso gut im Töten ausgebildet sein wie sie, verstanden?«
    Das Mädchen nickte nach kurzem Zögern eilig.
    »Ich habe dich nicht verstanden.«
    »Ja, Herr«, antwortete sie

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