Sturmauge
zurückschrecken würde, und das habe ich mir im Laufe der Jahre abgewöhnt. Irgendetwas an dem Mann buhlte um Bernsteins Aufmerksamkeit, aber er konnte den Finger nicht darauflegen. Er war nicht von hier, schloss er, aber das konnte es nicht sein, was nicht stimmte …
Kenne ich ihn? Nein, an einen Mann von dieser Größe, der sich mit dem Selbstbewusstsein eines Königs bewegt, würde ich mich erinnern. Und doch ist da etwas … Ihr Götter, vielleicht liegt es einfach daran, dass er mir so ähnlich ist, und dass Männer wie ich nicht Sergeant bleiben.
»Wir werden beim nächsten Mal herausfinden, wer von uns am weitesten pinkeln kann«, antwortete Kayel mit einem selbstsicheren Lächeln und zeigte auf einen der Soldaten an Bernsteins Seite. »Er wird sich um Euer Pferd und Eure Waffen kümmern. Die Herzogin erwartet Euch.«
Damit drehte sich Sergeant Kayel um und ging auf den Haupteingang zu. Bernstein blieb noch einige Herzschläge lang verblüfft sitzen, dann stieg er dankbar aus dem Sattel. Er reichte dem Soldaten die Zügel und legte den Schwertgurt ab, wobei er Nai einen Blick zuwarf. Der Nekromant verstand und kam zu ihm.
»Warum habe ich das Gefühl, dass ich diesen Sergeanten schon einmal gesehen habe?«, fragte er leise.
»Habt Ihr unlängst in den Spiegel geschaut?«, antwortete Nai. »Für Männer, die sich überhaupt nicht ähnlich sehen, seid ihr euch jedenfalls sehr ähnlich.«
»Was in Ghennas Namen soll das denn heißen?«
»Ihr bewegt Euch auf die gleiche Weise. In Euren Augen liegt
der gleiche Ausdruck, auch wenn Ihr ihn besser verbergt als er, und …« Nai verstummte und musterte Bernstein nachdenklich. Ohne Erklärung bewegte er die Hand vor Bernsteins Gesicht auf und ab und murmelte leise Worte.
»Sei vorsichtig, was für Zauberwerk du bei mir versuchst«, grollte Bernstein. Die Soldaten in der Nähe zuckten zusammen, denn auch wenn sie seine Worte nicht verstanden, erkannten sie den Tonfall doch.
»Ich wollte nur sehen, ob nicht jemand anders das bereits getan hat«, sagte Nai mit gefurchter Stirn. »Und ich denke, ich lag damit richtig … Obwohl ihr euch nur in Gestalt und einem gewissen großspurigen Auftreten ähnelt, hat er mich doch auf den ersten Blick immens an Euch erinnert. Ich muss diese These überprüfen, doch es gibt gewiss eine Verbindung zwischen euch beiden.«
»Wie kann das sein?«, fragte Bernstein überrascht.
»Ich habe keine Ahnung.« Nai zeigte auf Kayel, der am Haupteingang wartete. »Vermutlich findet Ihr die Antwort darauf dort.«
Als er die runde Audienzhalle betrat, warteten hier nur adlige Damen auf ihn. Zwei Wachen zu beiden Seiten der Tür behielten ihn im Auge und ein schneller Rundblick offenbarte Armbrustschützen auf einer Empore über der Tür, die Waffen im Anschlag. Es gab Diener, aber kein Mann von Rang war zu sehen. Das erinnerte ihn kurz an den Weißen Zirkel, obwohl die Schwesternschaft in Byora niemals hatte Fuß fassen können. Und nachdem der Weiße Zirkel nun als Fassade für die politischen Absichten der Yeetatchen-Stämme im Exil offenbart wurde, war die Herzogin vermutlich sehr froh, dass sie nicht in dieses Wespennest gestochen hatte.
Natai Escral, die Herzogin von Byora, war leicht zu erkennen. Sie saß auf einem Thron, ein Kind mit stechendem Blick drängte
sich auf der Sitzfläche an sie, und neben ihr stand eine Dame in feinen Gewändern.
Ich dachte, sie hätte keine Kinder, und ihr Ratgeber sei ein Mann? Unsere Informationen scheinen veraltet , überlegte er.
Sergeant Kayel stellte sich links neben die Herzogin, auf die Seite, an der das Kind saß. Beide Frauen trugen schweren Goldschmuck und reich verzierte Kleider, das eine grün, das andere in dunklem Rosa. Seltsamerweise gewährte die ältere Herzogin einen deutlich tieferen Einblick in ihren Ausschnitt als ihre Beraterin, deren Kleid so hochgeschlossen war, dass ihr Kopf durch den Kragen in eine beständig hochnäsige Haltung gezwungen schien.
Im dunkleren hinteren Bereich des Raumes stand mit gefalteten Händen und gesenktem Blick eine Amme, die vermutlich eingreifen sollte, wenn das Kind unruhig wurde. Neben ihr befand sich ein Beamter, der unbeteiligt und gefasst zu wirken versuchte, aber wohl nur so aussah, als habe er Verstopfung. Bernsteins Blick glitt über die Amme, ohne dass er sie widererkannte. Doch Nai neben ihm schrie auf, als habe ihn etwas gestochen. Der Menin-Offizier warf ihm einen Blick zu, und der Nekromant verstand.
Die Blicke der Anwesenden
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