Sturmauge
Dialekts hörte er aus dem Mund der Gestalt Worte auf Menin – und zudem rief der Mann seinen Namen.
»Oberst Bernstein«, wiederholte er und schlug seine Kapuze zurück, unter der schmutzigblondes Haar und das hoffnungsvolle Lächeln eines hungrigen Hundes zum Vorschein kamen.
»Nai?«, fragte Bernstein ungläubig. Der Soldat, der auf den abgerissenen Mann zuging, blieb unsicher stehen, aber Bernstein beachtete ihn gar nicht, sondern starrte Nai immer noch fassungslos an. Der Mann war der ehemalige Diener von Isherin Purn, einem verstorbenen Nekromanten, der im Dienste der Menin-Armee gestanden hatte.
Als Bernstein Nai das letzte Mal gesehen hatte, war er ausgerechnet mit König Emin und Zhia Vukotic unterwegs gewesen,
um irgendein dummes Vorhaben durchzuführen. Bernstein war dem Massaker an den Flüchtlingen nach dem Fall von Scree nur knapp entgangen und hatte vermutet, dass keiner, der nicht unsterblich war oder eine eigene Armee dabeigehabt hatte, dies überhaupt hatte überleben können.
»Nai?«, wiederholte er, bevor ihm auffiel, dass er sich lächerlich machte. Er winkte den Mann zu sich.
»Es tut auch gut, Euch wiederzusehen, Oberst«, sagte Nai und kam näher. Wie bei ihrer ersten Begegnung war Nai auch jetzt barfuß. Es schien ganz so, als wäre er stolz auf seinen Klumpfuß und wolle ihn zur Schau stellen. Unter seinen schmutzigen Lumpen trug er einen dickeren, nicht so schmutzigen Ledermantel. Dann ist das Ganze nur eine Tarnung, aber vor wem versteckst du dich? Offenbar haben sich deine Freunde gegen dich gewandt.
»Das habe ich nicht gesagt«, blaffte Bernstein. »Verdammte Nekromanten. Ihr seid wie Schaben, die aus dem Gebälk gekrochen kommen.«
Nai wirkte nicht beleidigt. Er lächelte weiterhin, trat vor Bernstein hin und sah zu dem großen Soldaten auf. »Oberst, wenn Euer Lord in der Lage wäre, Schaben dazu abzurichten, für ihn zu spionieren, so wäre der Westen bereits erobert.«
»Ihr habt Neuigkeiten?«
»Einige.« Der Nekromant machte eine wegwerfende Geste. »Nicht viel. In letzter Zeit musste ich mich unauffällig verhalten, aber ich kann Lord Styrax dennoch nützlich sein, wenn er mich dafür schützt.«
»Versucht jemand, dich zu töten? Zhia? Diese Farlan-Schlampe?«
Nai grinste breiter und wirkte unbekümmert. »Und beide benutzen dafür nicht nur einen Hausschuh. In dieser Stadt ist Bemerkenswertes vorgefallen.«
»Pisse und Dämonen«, knurrte Bernstein. »In Anbetracht deiner
Vergangenheit ist das kein gutes Zeichen.« Er seufzte und wies auf das Tor. »Gut, komm mit. Aber sieh zu, dass du windabwärts von mir bleibst«, fügte er hinzu und rümpfte die Nase.
Es war sehr einfach, zur Herzogin vorgelassen zu werden. Sie wurden am Tor des Rubinturmbereichs aufgehalten, und die Wachen überbrachten die Nachricht von Bernsteins Eintreffen. Binnen einer oder zwei Minuten kam ein hochgewachsener Sergeant herausgeschlendert und sah in ihre Richtung. Er musterte erst Bernstein und dann Nai eine Weile lang eingängig. Diesem war der Blick des Mannes so unangenehm, dass er das Gesicht verzog und zu Boden blickte. Bernstein bemerkte auch bei den anderen Wachen eine Veränderung. Mit einem Mal waren sie unruhig, sogar erfahrene Männer. Bernstein blinzelte und hatte plötzlich das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen.
Merkwürdig , dachte er, dabei sieht er mir gar nicht ähnlich. Vielleicht ist es etwas in der Art, wie er sich hält, oder weil er wie ein Veteran wirkt?
»Ich bin Sergeant Kayel«, sagte der Mann schließlich und bewegte die Finger, als wolle er sich auf einen Kampf vorbereiten. Die Armschienen aus fleckigem Stahl waren mit einem ZickZack-Muster aus Draht umwickelt und stellten das Einzige an ihm dar, was von der gewöhnlichen Uniform abwich. Bernstein konnte sich keinen Grund für den Draht vorstellen, aber vermutlich bedeutete er schon etwas – wenn man nur wusste, was. Vielleicht sollte er an ein vergangenes Regiment erinnern – Bernstein hatte so viele Bräuche gesehen, mit denen man der Verlorenen gemahnte.
Er vertrieb die neugierigen Gedanken und lehnte sich im Sattel vor. »Ist mir egal, wer Ihr seid«, sagte er ruhig. »Bringt mich einfach zur Herzogin. Ich bin in Staatsangelegenheiten unterwegs.«
Sie waren von ähnlichem Wuchs und Alter, beide vernarbte Veteranen, mit denen man sich besser nicht anlegte.
Aber es gibt mindestens einen Unterschied , versicherte Bernstein sich selbst , er ist ein Mann, der vor einem Kampf nicht
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