Sturmauge
Kinna folgte einige Schritte hinter den beiden, blieb aber lange genug stehen, um ihn erneut anzulächeln und auch noch zu sagen: »Verschlaft nicht.«
Bernstein stand einen Augenblick lang reglos da und versuchte zu ergründen, ob die Frau wohl verrückt war, oder ob er sie früher schon einmal getroffen und es nur vergessen hatte. Nai zupfte drängend an seinem Ärmel und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
»Kommt, wir müssen reden.«
Bernstein lächelte böse. »Das müssen wir wirklich.«
29
Bernstein war früh erwacht und hatte sich am Becken gewaschen. Als nun eine Dienerin anklopfte, hatte er sich bereits halb angezogen. Sie war blond, ein bisschen zu kurvenreich für Bernsteins Geschmack, und sie sah ihn nicht einmal an, während sie ein Tablett mit Haferbrei und großen Schalen voll schwarzen Tees hereintrug. Ersteres war zu fad, das zweite zu bitter, aber im Zimmer war es kalt, und so verzehrte er beides eilig. Er hatte bereits Nais Portion ins Auge gefasst, als der dickliche Nekromant aus der Schlafkammer gegenüber kam und erfreut auflachte, da er sah, was ihn erwartete.
Ein hohes Fenster am Ende des schmalen Raumes war die einzige Lichtquelle. Das fensterlose Schlafzimmer war unangenehm dunkel gewesen, darum war Bernstein beim Licht eines Kerzenstummels eingeschlafen, obwohl er sich feige und albern dabei vorkam.
Zwischen zwei Bissen sagte Nai: »Erinnert mich ein bisschen zu sehr an Gefängniszellen.«
»Wenigstens haben sie uns heute Morgen rausgelassen.«
Die Nacht war unruhig gewesen. Nachdem Nai einen magischen Schutz gegen Lauscher gewirkt hatte, hatten sie sich mehr als eine Stunde unterhalten. Und als er sich schlafen legte, hatte Bernstein der Kopf gebrummt. Im Gegensatz zu Bernstein hatte
Nai die Amme sofort erkannt – er konnte kaum glauben, wie sehr sie sich verändert hatte. Aber auch der Nekromant hatte keine Erklärung dafür gehabt, wie sie nach Byora gekommen war. Selbst Zhia Vukotic war davon ausgegangen, dass Haipar im Kampf gestorben war.
Und das war nicht die einzige verblüffende Neuigkeit, die Nai für Bernstein bereithielt. Dass Zhia selbst, durch die Augen der Dame Kinna, Teil des Gesprächs gewesen war, das er mit der Herzogin geführt hatte, war ebenfalls überraschend gewesen. Er wusste nicht, wer das Kind oder der große Sergeant namens Kayel war. Nai konnte ihm nur sagen, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab – sie wurde mit der Zeit schwächer, aber der Nachhall eines Zaubers war offensichtlich. Auch dafür, dass Legana, die Farlan-Spionin, Mikiss in ihrem gemieteten Raum getötet hatte, gab es keine Erklärung. Nai behauptete, dass die Dame selbst in ihren Räumen aufgetaucht war, wenige Tage bevor sie im Tempelviertel getötet wurde.
»Ich habe nachgedacht«, begann Bernstein zögernd. »Die Verbindung wird schwächer, nicht wahr?«
Nai blickte von seiner Schale voll bitteren Tees auf und nickte.
»Kannst du etwas tun, um sie zu stärken?«
Nai schürzte nachdenklich die Lippen. »Das würde den Zauber vermutlich wiederholen.«
»Beim ersten Mal scheint er ja keinen Schaden angerichtet zu haben«, sagte Bernstein leichthin. »Und ich vermute, dass diese Verbindung noch einmal nützlich sein könnte, darum will ich sie nicht verlieren.«
»Einen Monat hält sie mindestens noch«, sagte Nai kopfschüttelnd. »Der Zauber ist beendet und die Energie wird nur durch den üblichen Schwund geringer.«
»Gut, Lord Styrax möchte diesen Sergeant vermutlich im Auge behalten.«
»Warum?«
»Erinnerst du dich daran, wie Zhia uns gefangen nahm? Als ihr verlorenes Lamm, dieser Doranei, bei ihr vorbeischaute, suchte er nach jemand bestimmtem, jemandem, von dem er sich sicher war, dass man ihn in das Haus hatte gehen sehen. Ich habe damals schon gedacht, dass es ein sehr großer Zufall war, gleich in unserer ersten Nacht dort angegriffen zu werden.«
»Ihr glaubt nicht, dass es einfach eine Verwechselung gewesen sein könnte?«
»Wer greift schon ohne triftigen Grund einen Nekromanten an?«
Nai nickte. »Und wenn man jemanden zu einem Angriff auf einen Nekromanten verleitet – um die Beteiligten gegeneinander auszuspielen oder in einem Wespennest zu stochern –, dann verlässt man sich nicht auf eine vage Ähnlichkeit, wenn man auch die Möglichkeit hat sicherzugehen.«
»Der Mann des Königs hat mich immer so seltsam angesehen, wenn er glaubte, dass ich es nicht merke. Er hat immer darauf geachtet, dass ich nicht in seinem Rücken bin. Vielleicht
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