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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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wandte er seine Aufmerksamkeit dem Springbrunnen zu. Er ging jeden Tag daran vorbei und begriff nun, dass er sich nicht daran erinnern konnte, wann er ihn zum letzten Mal wirklich angesehen hatte. Er stellte Evaol dar, einen niederen Aspekt von Vasle, dem Gott der Flüsse. Die im Becken verteilten Münzen hatten jedoch vermutlich wenig mit ihrer göttlichen Verbindung zu tun, sondern stammten von Huren, die auf ein wenig Glück hofften.

    Die Figur zeigte eine barbusige Frau, die bis zur Hüfte aus einer Wassersäule bestand. Sie kämmte ihr Haar mit einem Kamm, der aus einer Fischgräte gefertigt war. Der blasse Stein hatte unter Regen und Wind gelitten, einige Kanten waren geglättet worden und einige neue geschnitten. Er widerstand dem Verlangen, mit den Füßen zu stampfen, um sie zu wärmen, aber sein unwillkürliches Zittern fiel Isak auf und riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Entschuldigt, Lesarl, ich halte Euch draußen in der Kälte.«
    »Mein Lord, das ist eine der Verantwortlichkeiten der hohen Stellung, die ich genieße«, sagte Lesarl und verbannte jeden Tadel aus seinen Worten, obwohl er wusste, dass er seinem Lord diesen Punkt nun wieder einmal würde erklären müssen.
    »Das bedeutet aber nicht, dass Ihr unter meinen ständigen Launen leiden müsst.«
    »Doch, genau das bedeutet es, mein Lord«, sagte der Haushofmeister bestimmt. »Mein Aufgabenbereich umfasst jeden Lordprotektor und jeden Teil des Lebens der Farlan, was mich mit mehr Macht im Stamm ausstattet als jeden anderen Mann. Euer Haushofmeister mag Euch ein noch so guter und treuer Diener sein, seine Stellung verlangt von ihm – oder ihr – das Vermögen zu Grausamkeit und Verschlagenheit. Und ein solcher Mann genießt diese mächtige Stellung viel zu sehr. Lord Bahl wusste dies und hat darum darauf bestanden, dass ich all seine Launen erleide.« Lesarl lächelte knapp. »Erst einige Jahre nachdem ich den Posten von meinem Vater übernahm, erkannte ich, dass man einen Hund auf ganz ähnliche Weise erzieht. Ohne blinden Gehorsam meinem Herrn gegenüber hätte ich mich durchaus fragen können, warum ich das Reich führe, er aber den Herzogsreif trägt.«
    »Dann seid auch Ihr wie ich nur ein Sklave Eurer Instinkte?«, fragte Isak.

    »Ich will damit sagen, dass diejenigen, die die Macht lieben, meist am wenigsten dafür geeignet sind, sie zu erhalten. Größenwahn kann einem Reich nützen, auch wenn die Leute es nicht wahrhaben wollen, aber doch nur, wenn er unter Kontrolle gehalten wird. Sonst wird er sich selbst zum größten Feind.«
    »Und darum sollte eine solche Person zum Wohle des Reichs darin geschult werden, gelaufen zu kommen, wenn ich nach ihr pfeife?«, fuhr Isak mit einem Grinsen fort. »Ich verstehe, was Ihr meint, so glaube ich wenigstens. Vielleicht sollte ich Euch ein Halsband als Zeichen Eures Standes geben.«
    »Ja, Herr«, sagte der Haushofmeister und fletschte die Zähne.
    Isak lachte und ging voran, über die Zugbrücke. Das Tor war bereits dabei, sich zu öffnen – und das Licht einer Fackel kroch durch den größer werdenden Spalt. Auf eine Eingebung hin wandte sich Isak nach rechts und schritt auf den Wachraum zu. Just in diesem Moment kam ein voll gerüsteter Geist heraus – und nahm den Helm ab, als er Isak herankommen sah. Das Weißauge blieb stehen, denn er erkannte den Mann wieder.
    »Du, Soldat, wie heißt du?«
    »Ich, mein Lord? Äh, Gemeiner Varner, mein Lord«, antwortete der Soldat rasch, und seine Stimme klang rau, beinahe knarrend. Er achtete darauf, ehrerbietig zu bleiben, aber er wirkte besorgt, und Lesarl erinnerte sich daran, wie Isak ihm von seinem ersten Treffen mit Lord Bahl berichtet hatte und von der Aura der Macht, die ihn wie die Hitze eines gleißenden Feuers umgeben hatte.
    Isak hatte sich im vergangenen Jahr von anderen Weißaugen ferngehalten. Kerin hatte deutlich gemacht, dass sie ein wildes Pack von Schandmäulern waren, die so gut wie nichts mit Isak gemein hatten. Der Schwertmeister hatte alle Hände voll damit zu tun, sie im Zaum zu halten, und es war sehr wahrscheinlich, dass eine Begegnung mit einem Kampf enden würde, bei dem Isak dann einen wertvollen Soldaten töten müsste.

    »Ich erinnere mich an dich«, sagte Isak. »Du hattest in jener Nacht Dienst, als ich hier ankam, oder? Du hast meinen Vater bewusstlos geschlagen.«
    »Ja, das war ich, mein Lord.«
    Isak lächelte. »Das wollte ich schon seit Jahren tun. Danke.«
    Das Weißauge blickte verwundert zu Isak auf. Wie

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